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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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durcheinander.
    Das einzige, was wir sicher gesehen und verstanden hatten, war die Sache mit der Erst- und der Zweitfrau, und es war klar, daß unser Vater so wie der Mann im Film sein wollte, der Arzt ist und erst eine dunkelhaarige Frau heiratet und dann noch eine blonde Zweitfrau bekommt, obwohl er eigentlich keine Zweitfrau will, aber es ist nichts dagegen zu machen, und schließlich reitet er von seiner Erstfrau und den Kindern auf dem Land immer in die Stadt zu der anderen Frau. Aber dann sagt er ihr, daß er jetzt nicht mehr zu ihr reiten wird, weil seine Erstfrau demnächst ein Kind kriegt, sie weint und sagt, sie glaubt nicht, daß er nicht mehr zu ihr reitet, und dann reitet er wieder zurück und wieder hin und wieder zurück, immer so weiter, bis ihn einmal auf dem Rückweg die Roten schnappen, jedenfalls dachten wir, daß es die Roten gewesen sein mußten, weil sie ihn die ganze Zeit vorher schon beobachtet und überall rumspioniert hatten und alles von seiner Zweitfrau wußten, und Zweitfrauen waren bei den Roten verboten, und sie erschossen jeden, der eine hatte, und schließlich lauern sie ihm auf und schnappen ihn, weil sie gerade einen Arzt brauchen für ihren Krieg gegen die Weißen, und dann hat er nur die Wahl, Erschossenwerden oder Mitreiten. Vor der Pause war auch die ganze Zeit schon Krieg gewesen, aber richtiger Krieg gegen die anderen, und ich sagte, es war übrigens der Weltkrieg, glaube ich, aber Wasa sagte, das wußten sie damals ja nicht, als er anfing; und im Krieg trifft der Mann zufällig die spätere Zweitfrau wieder, die er schon von vor dem Krieg kennt, weil sie auf seiner Verlobungsfeier aufgetaucht ist, um einen dicken Mann zu erschießen, der offenbar ein Geldsack ist und ihr schöne Kleider geschenkt hat, und jedenfalls wollte sie ihn erschießen, aber der Schuß ging nur in den Arm.
    Es gab jede Menge Zufälle in dem Film, mit denen wir nicht zu Rande kamen, und am Schluß ging er elend schlecht aus. Zwar schaffte es der Arzt schließlich, von den Roten abzuhauen, aber davon sahen wir nur einen Teil, weil wir zwischendurch die meiste Zeit die Augen zumachen mußten, und also kriegten wir fast nichts mehr richtig zusammen; aber Wasa hatte immerhin gesehen, wie der Mann abhaute, sie sagte, es war so: Alle ritten hintereinander übers Eis, und sie hatten Mützen auf, deshalb konnte man niemand erkennen, und vorher hatten sie alle erschossen und alle Dörfer abgebrannt, in denen sie noch Menschen fanden, manchmal fanden sie keine mehr, weil sie zu spät gekommen waren und schon die anderen da gewesen waren und alle erschossen hatten und die Dörfer abgebrannt; im Grunde brauchten diese Roten gar keinen Arzt, weil immer alle schon tot waren, wenn sie ihn riefen, sie brauchten ihn nur, damit er ihnen sagte, daß wirklich alle tot sind und ganz bestimmt keiner mehr lebt; irgendwann, sagte Wasa, als sie so übers Eis ritten und weiter alle umbringen wollten und alle Dörfer abbrennen, dreht einer von ihnen langsam sein Pferd beim Reiten in die andere Richtung, und natürlich ist es der Arzt, weil er sowieso kein Roter ist und genug hat und weil er nach Hause will. Dann fällt sein Pferd um, und er geht im Schneesturm zu Fuß weiter; ungefähr an der Stelle hatte ich die Augen auch wieder aufgemacht, und dann war er tatsächlich knapp am Leben und völlig verhungert in der Stadt angekommen und erst einmal zu seiner Zweitfrau gegangen; sie war nicht da, aber in ihrem Geheimversteck unten an der Haustür, das sie immer benutzt hatten, wenn er in die Stadt geritten kam und sie bei der Arbeit war, lag der Schlüssel für ihre Wohnung, und sie hatte einen Zettel geschrieben, daß sie ihn erwartet und nicht da ist, aber schon weiß, daß die Roten nach ihm suchen. Die Roten hatten schon seine Erstfrau und die Kinder erschießen wollen, aber die waren rechtzeitig geflohen und hatten das Land verlassen; und natürlich sollte er auch erschossen werden, weil er ihnen abgehauen war, aber jetzt hatte er den Schlüssel und konnte in die Wohnung rauf. Er sah so erfroren aus von diesem kalten Krieg, daß man beim Zusehen, als er aufschloß, genau spürte, wie warm es in der Wohnung drinnen war, auf dem Tisch stand zugedeckt eine Schüssel Kartoffeln; als er in den Spiegel schaute, kannte er sich nicht wieder und fiel dann in Ohnmacht; später schrieb er mit Handschuhen Gedichte für die Zweitfrau in seinem Haus auf dem Land, das Haus war außen und innen dick voller Schnee, und ich glaubte nicht ganz,

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