Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
Vom Netzwerk:
Anfang diese Rheinfahrt gegeben hatte und wir seitdem hofften, daß sie sich endlich scheiden lassen, damit die Mutter nicht ernst machen mußte und dann jung starb.
    Ich konnte mich an absolut gar nichts erinnern aus dem Osten, und die Fotos, die wir hatten, waren alle schwarzweiß und bräunlich vergilbt, aber Wasa sagte, es muß Johannisbeeren gegeben haben, ich erinnere mich genau, ich schmecke sie richtig, wenn ich an den Osten denke, und dann erinnerte sie sich noch daran, daß die Mutter ihr Senf auf den Daumen gestrichen hatte gegen das Daumenlutschen. Das war alles, und schon bei dem Senf war ich nicht sicher, ob sie sich selbst daran erinnerte oder ob sie die Erinnerung nur von der Mutter hatte, die manchmal nachsah, ob ihre Daumen immer noch krumm und schief waren oder endlich mal anfingen, gerade zu wachsen, und dann sagte die Mutter, die anderen beiden haben gerade Daumen, nur bei dir Daumenlutscherchen sind die Daumen so häßlich verwachsen, aber Wasa sagte, sie hätte es nicht von der Mutter, sondern würde sich selbst erinnern, sie wüßte noch genau den Senfgeschmack, wenn sie den Ostsenf vom Daumen geleckt hatte, sie sagte, der Ostsenf ist nicht richtig gelb wie unserer, und außerdem schmeckt er anders, und ob sie es nun von der Mutter hatte oder vom Senfgeschmack, es war jedenfalls nicht sehr viel, was sie an Ost-Erinnerung hatte, und im großen und ganzen sah es nicht sehr nach Gelachthaben aus. Wenn wir beide allein über etwas lachten, also Wasa und ich, dann wußten wir schon, daß die Mutter darüber bestimmt nicht lachen würde, manchmal tat es ihr regelrecht weh, wenn sie hörte, wie wir in unserem Zimmer lachten, und dann kam sie rein und sah nach, worüber wir lachten; und beim Lachen über unseren Lieblingssatz mit der blauen Haubitze und dem stocknüchternen Fahren zog Wasa sich immer die Decke über den Kopf, weil sie nicht wollte, daß die Mutter es hörte und daran nichts zum Lachen fand.
    Mitten in der amerikanischen Zeit sagte der Vater eines Abends, Kinder, zieht euch an, wir gehen ins Kino. Die Mutter war auf dem Elternabend von Floris Klasse, und er legte ihr einen Zettel hin, auf dem stand, daß es spät würde und wir ins Kino gingen. Wir dachten, es gäbe einen Karl-May-Film bei uns in dem Vorort-Kino, in das wir früher manchmal am Sonntagvormittag gegangen waren, aber er fuhr in die Stadt und freute sich beim Fahren so über die Überraschung und auf den Film, daß er die ganze Zeit pfiff und uns zwischendurch raten ließ, was für ein Film das wäre, aber wir kamen natürlich nicht darauf, was es für ein Film sein könnte, weil wir Emma Peel kannten und eben alle Karl-May-Filme und das Doppelte Lottchen, und dann kamen wir ins Kino. Es war riesig und rot, und der Vater sagte, das ist das größte Kino der Stadt, hier spielen sie Breitwandfilme, und freute sich. Im Kino spielten sie erst einmal, solange es noch hell war, immer hintereinander genau dasselbe Lied, das der Vater vorher im Auto gepfiffen hatte, bis es dunkel wurde und der Film anfing. Zwischendurch war eine Pause, wir gingen vor die Tür, weil der Vater rauchte, und dann standen wir draußen, der Vater erzählte uns die erste Hälfte des Films noch mal, weil wir nichts verstanden hatten, und danach hatten wir immer noch nichts verstanden, aber es machte uns nichts mehr aus, und wir hatten das Gefühl, daß es jetzt weitergehen könnte. Flori sagte, hoffentlich kommt der Krieg nicht hierher. Dann ging es weiter und wurde immer schlimmer, es war gräßlich und schön auf einmal, manchmal, wenn es besonders gräßlich war, kamen riesige Felder mit Osterglocken zur Erholung, das ganze Kino war dann von links nach rechts voller Breitwand-Osterglocken, und ich merkte es mir, weil es so gelb war und ich mich einen Moment lang erholen konnte, aber Wasa sagte später vor dem Einschlafen, es waren Sonnenblumen, und sie hätte es sich ganz genau gemerkt, weil es das einzige an dem Film war, was sie ganz sicher wüßte, und wenn ich jetzt sagte, es wären Osterglocken gewesen, dann hätte ich entweder nicht richtig hingesehen, oder es wäre sinnlos gewesen, daß sie sich ausdrücklich die Sonnenblumen gemerkt hatte, weil sie eben doch nicht mit Sicherheit Sonnenblumen gewesen waren. Immerhin war das rote Kino ein paarmal während des Films, wenigstens für Wasa und mich, voll mit gelben Breitwandblumen gewesen. Wenn wir versuchten, uns zu erzählen, was wir sonst noch gesehen hatten, kamen wir immer mehr

Weitere Kostenlose Bücher