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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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fragte, machst du bei der Tagesschau eigentlich die Augen zu, sagte ich also, nein. Na also, sagte Wasa. Ich verstand immer noch nichts. Erst als sie sagte, da haben wir ihn doch, unseren Krieg, verstand ich, was sie meinte, aber es brauchte noch eine Weile, bis ich dafür war, daß dieser Krieg der Krieg sein könnte, von dem uns die Menschengeschichte nicht verschonen würde, weil ich zuerst dachte, so geht es nicht, die Menschengeschichte wird es uns wahrscheinlich so billig nicht geben, sondern dahinter kommen, daß wir uns unseren Mindestkrieg aus Asien verschaffen, aus dem Ausland, und ich bezweifelte, daß ausländische Kriege hier gelten. Aber Wasa sagte, wo ist denn dein ausländischer Krieg, wenn wir die Tagesschau sehen, und ich gab ihr recht, daß er in unserem Fernseher in unserem Wohnzimmer war, aber es war mir trotzdem nicht wohl dabei; ich sagte, es ist etwas faul daran, ich weiß nur nicht, was es ist. Wir überlegten hin und her, weil Wasa auch das Gefühl hatte, daß etwas faul daran sein könnte, aber wir beschlossen dann doch, daß uns nicht sehr viel anderes übrig bliebe, als uns den Mindestkrieg aus dem Ausland zu verschaffen, wenn wir auf die Art um den dritten Weltkrieg herumkämen, obwohl ich den Verdacht nie ganz loswerden konnte, daß uns die Menschengeschichte dabei erwischen und es uns heimzahlen würde.
    Als wir nach dem Kino nach Hause kamen, machte die Mutter uns im Bademantel auf und sagte, wie spät es schon war. Sie hatte noch nicht geschlafen, sondern gewußt, daß sie uns nie mehr wiedersehen würde, und wir wußten, daß man nicht schlafen kann, wenn man denkt, man sieht sich nie wieder. Für sie mußte es noch viel schlimmer gewesen sein als für uns, weil sie erwachsen war und nicht barfuß im Schlafanzug zu Heinckels rennen konnte. Der Vater sagte, aber Irene, es lag doch der Zettel da. Hast du den Zettel denn nicht gefunden, und sie hatte den Zettel zwar gefunden, aber trotzdem gewußt, daß sie uns nicht wiedersehen würde. Zuerst hatte sie geglaubt, der Vater hätte uns alle entführt; sie hatte in den Schränken nachgesehen, ob unsere Schottenröcke und die anderen Sachen noch drinhingen, und als alles noch drinhing, hatte sie erst recht alle Hoffnung aufgegeben, uns jemals im Leben wiederzusehen, weil wir dann nicht entführt, sondern tot waren; bei Entführung hätte sie kämpfen können wie eine Löwenmutter, selbst wenn der Vater blitzschnell eine Ami-Stiefmutter gezückt hätte, damit wir bei ihm blieben, und sie hätte nicht so schnell einen Stiefvater zücken können, sondern wäre alleinstehend gewesen. Aber selbst dann hätte sie kämpfen können, bis es sie dann schließlich umgebracht hätte, sie hätte uns immerhin am Leben gewußt; aber weil unsere Sachen alle in den Schränken hingen, wußte sie, daß wir nun nicht mehr am Leben sein konnten. Der Vater versuchte, sie mit unserem Lieblingssatz von der blauen Haubitze zu beruhigen, aber sie hatte vor lauter Sorgen und Schlaflosigkeit inzwischen Herzweh, und das ließ sich nicht mit der blauen Haubitze beruhigen, nicht einmal damit, daß wir alle wieder da waren, sie faßte mit der linken Hand unter die Brust und sagte, daß sie schlimme Herzstiche habe, und dann sagte sie zu uns, Kinder, versprecht mir: tut mir das nie wieder an. Ich dachte an den Mann mit der Herzattacke, den wir im Film gesehen hatten, und versprach es sofort. Wir versprachen alle drei, ihr das nie wieder anzutun, aber der Vater versprach es nicht, vielleicht dachte er an die beiden anderen Hollywoodschinken, die er uns versprochen hatte, jedenfalls sah er uns an und sagte, was seid ihr für feige Verräter. Als wir im Bett lagen, konnten wir also noch nicht gleich über den Film und den Weltkrieg nachdenken, weil wir der Mutter das angetan hatten, und wir überlegten, daß eigentlich nicht wir an den Herzstichen schuld waren, sondern im Grunde der Vater, weil er uns ins Kino mitgenommen und ihr das angetan hatte, er war schließlich erwachsen, und wir waren Kinder; er hatte zu bestimmen, und eigentlich mußten wir sogar machen, was er bestimmte, weil er uns erziehen durfte: Wenn er also bestimmte, daß wir ins Kino gingen, durften wir gar nicht nicht ins Kino gehen. Ich war aber nicht ganz sicher, ob das für heute abend ganz stimmte, weil wir ja gern ins Kino mitgegangen waren, es kam mir nicht vor wie Erziehung, wenn wir mit dem Vater ins Kino gingen; ich sagte, glaubst du, das mit der Erziehung gilt auch für Kino; Wasa sagte, das gilt

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