Friesengold (German Edition)
nicht. Reich war sie jedenfalls am Ende ihres Lebens bestimmt nicht mehr, falls Sie das meinen. Aber das kann Ihnen sicher unser Familienanwalt sagen.«
Sie machte einen langsamen Schritt auf ihn und unterschritt damit die gesellschaftlich allgemein übliche Distanz. Ihr Hilfe suchender Blick hinderte ihn daran, diese Distanz wieder aufzubauen.
»Wie geht es jetzt weiter?«
»Wir werden die Vermutung so schnell wie möglich überprüfen. Sollte sie sich bewahrheiten, bringen wir wahrscheinlich auch das Motiv in Erfahrung. Haben wir erst einmal das Motiv, haben wir den Täter fast schon verhaftet«, verbog er ein wenig die Wahrheit. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
Kaum hatte er den Satz beendet, flogen ihre Arme um seinen Hals. Greven wiederum hob die seinen in die Luft, um die Situation zu entschärfen. Vorsichtig wollte er die Umklammerung lösen, doch als er ein leises Schluchzen hörte, legte er die rechte Hand auf ihren Kopf.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, wiederholte er in Ermangelung eines besseren Trostes. »Ich halte Sie auf dem Laufenden. Versprochen.« Das war auch nicht besser. Eine Phrase. Aber eine andere hatte er nicht parat. »Ich werde mit der Staatsanwältin reden, ob wir Ihnen Personenschutz gewähren können.« Dass die Aussicht auf Gewährung dieser Maßnahme sehr gering war, verschwieg er.
Sophie von Reeten hob ihren Kopf und löste sich von ihm. Nach einem mehrdeutigen Blick stellte sie die ursprüngliche Distanz wieder her. »Bitte entschuldigen Sie. Seit dem Tod meines Mannes sind meine Nerven nicht mehr so belastbar.«
»Ist schon in Ordnung«, brummte Greven erleichtert.
»Es ist nicht nur sein plötzlicher Tod«, warb sie mit leicht geröteten Augen um Verständnis. »Seine Leiche wurde nie gefunden. Andere Angehörige der Tsunamiopfer hatten schnell Gewissheit und konnten in Ruhe trauen. Ich aber zählte zu den Hoffenden und Wartenden. Und dann musste ich noch darum kämpfen, ihn für tot erklären zu lassen, um das Erbe antreten zu können. Als ich endlich die Papiere in Händen hielt, war seine Firma pleite.«
»Das tut mir leid.«
»Ist schon gut«, sagte die Gräfin und gewann langsam ihre Fassung wieder zurück. »Ein Grab gibt es natürlich auch nicht. Ich habe stattdessen einen Gedenkstein im Garten aufstellen lassen. So, jetzt aber Schluss mit dem Thema. Ich brauche jetzt einen Whisky. Für Sie auch?«
»Nein danke, ich bin noch im Dienst.«
»Ich habe noch einige Flaschen aus der Sammlung meines Mannes. Überlegen Sie sich das gut. Kommen Sie.«
Greven folgte der Frau in Schwarz durch eine große Schiebetür ins Esszimmer, wo sein Blick sofort von einer stattlichen gelben Banane in Beschlag genommen wurde.
»Lässt sich die auch abziehen?«, fragte er fasziniert. »Wie auf dem Cover?«
»Da muss ich Sie leider enttäuschen. Es ist nur einer der Entwürfe Warhols.«
»Ich wusste gar nicht, dass es überhaupt die Banane in dieser skurrilen Form gibt.«
»Mein Mann hat das Bild vor vielen Jahren aus New York mitgebracht. Nicht doch einen Whisky? Vielleicht einen Bowmore Seadragon oder einen Port Ellen ?«
Die Destillerie Port Ellen auf der schottischen Insel Islay war 1983 stillgelegt worden. Einige Flaschen waren natürlich noch im Handel, allerdings zu Preisen, die mit dem Sold eines Polizeibeamten nicht kompatibel waren.
»Von diesen Schätzen steht gar nichts im Protokoll.«
»Ihre Kollegen haben nicht danach gefragt. Nur nach veräußerlichen Werten, oder wie sie es genannt haben. Angebrochene Flaschen zählen wohl kaum dazu. Oder?«
»In diesem Fall muss ich mich doch persönlich davon überzeugen«, sagte Greven und warf einen Blick in den schmalen Schrank, in dem die Kostbarkeiten gelagert wurden. Jede der rund zwanzig Flaschen war eine Sensation.
»Im Keller stehen noch ein paar Kartons«, kommentierte Sophie von Reeten mit spürbarem Understatement und kehrte langsam zu ihrer gewohnten Form zurück.
»Ich will es gar nicht wissen«, war Grevens Kommentar ihres Kommentars. »Ich nehme den Port Ellen . Haben Sie eine Ahnung, wann er destilliert wurde?«
» Aged 30 Years steht auf der Flasche, falls Ihnen das genügt.«
»Unbedingt«, antwortete Greven und nahm das schlanke schottische Nosingglas entgegen.
»Danke für Ihr … Verständnis«, sagte die Gräfin und hob das Glas. Der Eyeliner oder der Lidschatten ihres linken Auges war von einer Träne in Mitleidenschaft gezogen worden und bildete einen dunklen Fleck auf ihrer Wange, den er kurz
Weitere Kostenlose Bücher