Friesengold (German Edition)
betrachtete.
»Danke für den Whisky.«
Der hielt, was sich Greven von ihm versprochen hatte. Mehr ging nicht. Mehr Torf nicht, mehr Rauch nicht und auch keine angenehmere Milde und Öligkeit im Abgang. Sein Blick wanderte von der wiedererwachten Circe zur Bananenskizze. Von einigen Katastrophen abgesehen, ging es der Gräfin gar nicht schlecht. Dabei dachte er auch an den Jaguar vor der Tür und vergaß natürlich die Jugendstilvilla nicht.
»Darf ich Ihnen …?«, begann Sophie von Reeten, doch in diesem Moment drangen polternde Geräusche und Wortfetzen ins Esszimmer.
»Annalinde!«, fauchte die Gräfin, setzte die Flasche ab und lief zur Tür, die sie regelrecht aufriss. Greven folgte ihr neugierig.
Durch die nicht ganz geöffnete Tür konnte er eine Gruppe schwarz gekleideter Teenager mit fast weißen Gesichtern auf der Treppe erkennen. Einige trugen goldene oder silberne Ketten, ein junger Mann einen Zylinder. Auf einer der unteren Treppenstufen stand die Tochter des Hauses und sah teilnahmslos zu ihrer Mutter hinüber. Die kleine Schar Gothic-Jünger verzichtete indes auf einen Blick zur Esszimmertür und verschwand schnell aus seinem Blickfeld.
»Annalinde!«, fauchte die Gräfin ein zweites Mal.
Die Angesprochene drehte sich langsam um und folgte den anderen.
10
Es schneite immer heftiger. Bis Marienhafe war die Sicht noch halbwegs gut gewesen, doch nachdem er Upgant-Schott passiert hatte, tauchte er plötzlich in eine weiße Wand ein. Vorsichtig trat er auf die Bremse, hielt aber nicht an, sondern fuhr mit Schrittgeschwindigkeit
weiter. Trotz seiner guten Ortskenntnisse fiel es ihm schon nach wenigen Hundert Metern schwer, sich zu orientieren. Er spürte die Straße unter seinen Reifen oder glaubte zumindest, sie zu spüren. Sehen konnte er dagegen fast nichts mehr. Dennoch weigerte er sich, einfach anzuhalten und das Ende des weißen Chaos abzuwarten. Stattdessen stocherte er mit den Augen in der Wand aus Schnee, um einen Anhaltspunkt zu finden, die Silhouette eines der Straßenbäume oder den Teil einer Fassade eines der wenigen Häuser dieser Route. Der Vorhang aber blieb geschlossen und verwehrte jeden Blick auf die Kulissen. Alles blieb im Dunkeln, das in diesem Fall die Farbe weiß besaß. Verbissen kämpften die Scheibenwischer, hinterließen aber nur weiße Schlieren, die er immer wieder mit Spritzwasser beseitigen musste. Schließlich signalisierten die Reifen einen unebenen Boden, der ihn dann doch anhalten ließ.
Greven schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Er hätte schwören können, die zigmal gefahrene Strecke im Schlaf finden zu können. Kurz überlegte er, das eingebaute Navigationsgerät seines Dienstwagens zu befragen. Doch auch das würde seine Wartezeit kaum verkürzen, sondern geduldig darauf warten, dass er die nächste Kreuzung erreichte. Erst dann würde es seine elektronische Stimme erheben. Jetzt war auch noch das Spritzwasser am Ende.
Wieder landete seine Hand auf dem Lenkrad. Kaum etwas versorgte ihn derart mit Adrenalin wie Abhängigkeiten, sei es von natürlichen Gegebenheiten wie dem Wetter oder technischen Geräten wie einem Auto. Ganz zu schweigen von einem Navigationsgerät, das nicht wirklich navigieren konnte.
Ein Blick auf die Uhr ließ seinen Adrenalinspiegel wieder etwas sinken, denn noch hatte er einen Puffer. Er war rechtzeitig losgefahren, da Karig Simon auch mit der Zeit geizte und für eine Verspätung kein Verständnis aufbringen würde, selbst nach einem Hinweis auf die allgemeine Wetterlage nicht. Zehn Uhr hieß bei ihm zehn Uhr.
Simon Grönmann, den er seit seiner Schulzeit kannte, war ein Einzelkämpfer, fast ein Exzentriker und ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann. Wer ihm den Spitznamen Karig verpasst hatte, wusste Greven nicht, nur, dass er den Charakter Grönmanns sehr genau traf. Neben seinem Geiz besaß er auch eine Nase für ein gutes Geschäft. Schon in jungen Jahren hatte Grönmann etwa ein Gespür für die Zukunft von Grundstücken entwickelt. Wurde irgendwo am Ortsrand von Greetsiel ein neues Bebauungsgebiet ausgewiesen, konnte man sicher sein, dass Grönmann bereits vor Jahren einen Teil der betroffenen Weiden und Äcker unbemerkt erworben hatte. Was aus ihnen wurde, war ihm egal, solange seine Kasse stimmte. Da er an vielen Immobiliengeschäften auf die eine oder andere Weise beteiligt war, trug er in Grevens Augen auch zum kulturellen Niedergang seines Heimatdorfes bei. Oder zum Aufstieg des Dorfes zu einem
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