Friesengold (German Edition)
verpflichtet. Der Feldzug gegen die Erben einiger Umzugskartons konnte tatsächlich einem simplen Irrtum zu verdanken sein. Einem falsch interpretierten Tipp, einem Fehler bei der Übermittlung. Das war keine Ausnahme auf diesem Planeten. Teuerste Satelliten waren schon im All verendet, weil Techniker Zoll mit Zentimetern verwechselt hatten und somit falsche Koordinaten in
die Programme eingegeben hatten. Selbst Professionalität schützte vor derartigen Irrtümern nicht. Heyden und sein Auftraggeber konnten schlicht ins Klo gegriffen haben, was am Ende Heyden das Leben gekostet hatte. Ausgeschlossen war dieser Hergang nicht. Und noch einen anderen wichtigen Punkt gab es. Grönmann zählte nicht zu den Erben.
»Gut, belassen wir es dabei. Existiert eigentlich die Wohnung noch?«
»Thalkes Wohnung? Ja, Sie haben Glück. Wir wollen sie zwar schon lange renovieren, aber bei diesem Wunsch ist es auch geblieben. Wollen Sie sie sehen?«
»Genau darum wollte ich Sie bitten.«
»Meine Zeit reicht gerade noch aus«, sagte der Graf und sah auf die Uhr. »Also, folgen Sie mir bitte.«
Folef von und zu Aldenhausen hatte keine Probleme, seinen Sessel zu verlassen. Kaum stand er neben ihm, zog er ihn förmlich mit sich. Seiner Sekretärin warf er ein paar Worte zu, dann öffnete er für ihn das Labyrinth. Schon nach wenigen Treppen und Fluren hätte Greven große Mühe gehabt, den Weg wieder zurück zum Büro zu finden. Das Schloss war innen größer, als es von außen schien. Der Hausherr kannte sich natürlich aus und war zudem gut zu Fuß. Wieder wechselte er die Richtung, und sie betraten einen langen und breiten Korridor. Vor einer der Türen, die alle auf der rechten Seite lagen, hielt er endlich an und warf erneut einen Blick auf die Uhr. Greven schnappte nach Luft.
»Hier ist es. Der Schlüssel steckt. Gehen wir also hinein.«
Hinter der Tür, die der Hausherr für ihn öffnete, lag eine geräumige Dreizimmerwohnung mit Blick auf den Burggraben und die Vorburg. Eine schöne, eine helle Wohnung, wie Greven bemerkte, mit hohen Räumen und barocken Stuckdecken. Allerdings war sie nur unvollständig möbliert, in den Regalen standen nur noch wenige Bücher, an den Wänden fehlten Bilder, wie an einigen rechteckigen hellen Flecken zu erkennen war. Die Umzugskartons hatten ihren Tribut gefordert. Trotz dieses Flurschadens war immer noch zu erahnen, wie Thalke gelebt hatte. Greven entschied sich für den Begriff exzentrisch, auch wenn sie keine Engländerin war. Die wenigen Möbel stellten ein skurriles Sammelsurium dar, als seien sie vom Sperrmüll und aus teuren Designerstudios. Die kleine Küche verfügte über alles, was zum Kochen unverzichtbar war, Töpfe in allen Größen, Löffel, Kellen, Schneebesen, Spitzsiebe, Messer. Gute Messer, von denen keines im Messerblock fehlte.
Greven ließ kein Zimmer aus, wanderte durch die Reste von Thalkes Welt, um ihr auf die Spur zu kommen, um noch etwas von ihr zu erwischen. Her Spirit , wie es in einem amerikanischen Rocksong hieß. Auf der Fensterbank lag eine angebrochene Zigarettenschachtel, auch den dazu passenden Aschenbecher konnte er aufspüren. Im längst abgeschalteten Kühlschrank warteten noch immer zwei Champagnerflaschen auf Thalkes Rückkehr, ebenso einige Flaschen Cognac in einem Barfach im Wohnzimmer. Vieille Réserve. Dafür hatte sie Geld gehabt.
»Wer hat eigentlich die Umzugskartons gepackt?«
»Meine Schwester höchstpersönlich. Etwa drei Wochen vor ihrem Tod. Als sie das letzte Mal hier war. Wann sie das Testament gemacht hat, weiß ich nicht. Aber die Kartons standen alle nummeriert im Wohnzimmer. Der Notar hat sie abholen lassen.«
»Sie wurden aber nicht bedacht.«
»Wohl kaum. Dazu hätte unser Verhältnis besser sein müssen. Viel Vergnügen hätte ich allerdings an ihren Hinterlassenschaften nicht gehabt. Sehen Sie sich doch mal um.«
Greven tat, wie ihm geheißen, und kam zu dem Schluss, dass Thalke von und zu Aldenhausen ein intensives und für ihre Herkunft auch ein eher unkonventionelles Leben gelebt haben musste. Eines, das zumindest ihrem Bruder nicht gefallen hatte. Dennoch hatten er und die Familie sie dulden müssen, da ihr diese Wohnung nun mal zustand. Vielleicht war es sogar ein wirklich wildes Leben gewesen. Ein Balanceakt mit vielen Risiken und Schattenseiten. Einen dieser Schatten hatte sie möglicherweise kurz vor ihrem Tod einem der Umzugskartons anvertraut. Oder aber hier in dieser Wohnung verborgen.
»Wurde hier eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher