Friesenherz
warmherzig und legte ihm eine Hand auf den Oberarm.
»Das liegt nicht an der Reisebranche«, sagte sie sanft, »du hast eine junge Seele.«
Bandix lächelte etwas verunsichert, dann rückte er näher an Bärbel heran und schlang seinen Arm um ihre Schulter.
»Was du immer für schöne Sachen sagst«, raunte er für alle hör bar in ihr Ohr, »da komm ich gar nicht hinterher.«
»Aber mit dem Kragen müssen sie noch was machen.« Bärbel runzelte die Stirn und zupfte an dem Stoff, der eng um Ban dix’ Hals lag. »Das schnürt manchen Männern ja richtig die Luft ab.«
Er nickte ernsthaft. »Sag ich doch. Das ist genau der Kasus knaxus.«
Ich warf einen Seitenblick auf Geli, aber die schien nicht überrascht davon zu sein, die beiden derart vertraut miteinander zu sehen. Offensichtlich war ich so mit meinem eigenen Drama beschäftigt gewesen, dass ich nicht gemerkt hatte, wie alle um mich herum mit Riesenschritten ihrem Dharma näher kamen.
Der Kellner trat an unseren Tisch, und alle bestellten eine neue Runde Getränke.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr blickte, war es bereits zwanzig Minuten nach acht.
»Sag mal«, Bärbel blickte mich an, »willst du nicht mal nach deiner Freundin schauen?«
»Wieso«, gab ich genervt zurück, »hast du es eilig?«
Im Halbdunkel sah es so aus, als würde sie erröten. Schließlich antwortete Bandix für sie. »Wir wollen noch zur Oldie-Disco im Gemeindehaus«, sagte er entschuldigend, »weil, wir haben festgestellt, dass wir beide so gerne tanzen. Und die fangen pünktlich an und hören pünktlich um dreiundzwanzig Uhr wieder auf, wegen der Nachtruhe. Kurordnung, du verstehst.«
»Ach, Maike«, sagte Bärbel träumerisch, »es ist so schön, endlich mal mit jemandem zu tanzen.«
»Wieso?«, wunderte ich mich. »Ich dachte, Ahimsa und du, ihr habt den ganzen Tag nichts anderes getan?«
Bärbel schüttelte sanft den Kopf. »Nein«, sagte sie, »das war nicht miteinander tanzen. Das war gegeneinander tanzen.«
Dann blickte sie erneut demonstrativ auf die Uhr.
»Und warum muss ich nun wieder los und Ann suchen?«, entrüstete ich mich. »Das ist doch nicht mein Job.«
»Ich meine nur, weil sie doch deine Mitbewohnerin ist«, sagte Bärbel, und Geli schüttelte den Kopf. »Ist sie doch gar nicht mehr«, sagte sie eifrig zu Bärbel, »hab ich dir doch erzählt.«
Ich stand freiwillig auf, etwas ruckartig, und hätte dabei bei nahe den Stuhl umgeworfen. Wenn meine Wellnesskolleginnen jetzt anfangen wollten, meine desolate Familiensituation zu diskutieren, dann sollten sie das lieber ohne mich tun.
»Ist schon okay«, sagte ich, »ich geh nach ihr sehen.«
Ich verließ die Bar, stieg die Treppen mit den schäbigen Läufern hinauf und blieb schließlich vor der Tür stehen, die bis vor Kurzem auch meine gewesen war. Ich lauschte. Dahinter war alles still. Dann klopfte ich.
Es blieb still. Als ich schon die Hand auf die Klinke legen wollte, hörte ich schließlich, wie Ann »Herein!« rief. Ihre Stimme klang seltsam dumpf.
Als ich die Tür öffnete, dachte ich für einen Augenblick, dass ich mich im Zimmer geirrt hätte. Es sah aus, als wäre bereits alles aufgeräumt, geputzt und für neue Gäste hergerichtet. Kein Strumpf lag herum, kein Buch, nirgends lagen zusammengeknüllte Keksverpackungen. Ann saß verloren auf dem Doppelbett, neben sich ihren Campingrucksack. Auf meiner Bettseite lag mein Dinkelkissen auf der glatt gestrichenen Tagesdecke. An das hatte ich gar nicht mehr gedacht.
»Na?«, sagte sie und strich über ihren Rock.
»Wo bleibst du?«, fragte ich kühl. »Die Leute in der Pesel-Bar warten auf dich.«
Sie stand langsam auf, schlüpfte mit ihren Armen in die Tragriemen und zog sich den Rucksack auf.
»Ich mag keine Abschiede«, sagte sie. »Aber ich wollte auch nicht stundenlang alleine am Hafen rumstehen, bei dem Wetter.«
»Wieso Hafen? Was hast du vor?«
Ann sah auf ihre Armbanduhr. »Die letzte Fähre legt in einer halben Stunde ab.«
»Wieso Fähre?«
Sie zwirbelte eine Strähne ihres verfilzten Haares.
»Sag Torge einen schönen Gruß«, fügte sie hinzu.
»Und das Baby?«, fragte ich, halb entsetzt, halb hoffnungs voll.
Sie sah schweigend aus dem Fenster, dann senkte sie den Kopf.
»Danke dir«, sagte sie dann leise. »Das werde ich nie vergessen, wie nett du warst. Zum ersten Mal konnte ich mir vorstellen, wie das ist, Mutter zu sein. Und das hat sich verdammt schön angefühlt. Aber wir sind doch erwachsene Menschen, oder?«
Ich
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