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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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wie ich. Mit einer lässigen Bewegung griff er nach dem hölzernen Gitter, zog es heraus und ließ sich in das orange-blau gestreifte Plastikpolster fallen. Dann bot er mir mit eleganter Geste einen Platz an.
    »Madame?«
    Ich wollte mich neben ihn setzen, aber er schüttelte leicht den Kopf. Stattdessen zog er mich mit beiden Händen auf seinen Schoß, sodass ich rittlings auf ihm zum Knien kam.
    »So«, sagte er, »so kann ich dich richtig anschauen.«
    Für einen Moment packte mich wieder die Panik. Anschauen? Vor meinem geistigen Auge sah ich mich nackt im Spiegel stehen, in einer Umkleidekabine mit unbarmherzigem Oberlicht, das alle meine Macken und Dellen und Alterserscheinungen noch schlimmer machte, als sie ohnehin schon waren. Deshalb hatte ich den Gedanken an ein Date im Dunkeln auch so attraktiv gefunden, trotz der Kälte: Blindes Fummeln würde Jan vielleicht weniger enttäuschen als nackte Tatsachen. Aber Jan bemerkte mein Widerstreben nicht, vielleicht wollte er es auch einfach nicht bemerken. Langsam zog er den Reißverschluss meiner Outdoor-Jacke auf, Zähnchen für Zähnchen. Und auf einmal merkte ich, wie in mir eine Welle anwuchs, die alle diese Frauenzeitschriftengedanken wegspülte. Zehn Kilo und zwanzig Jahre in zehn Sekunden.
    Es war nur meine olle, geliebte Fahrradjacke. Aber so hatte noch nie ein Mann mich ausgezogen.
    »Und richtig spüren will ich dich auch«, sagte er.
    Dann kam die Flut.
    Ich will eines klarstellen: Das war kein Sex. Also, ich meine: kein richtiger Sex. Nichts, von dem man sich hätte fortpflanzen können. Ein winziger, allerletzter Funken Kontrolle in meiner inneren Leitzentrale verhinderte, dass es – wie hieß das früher so schön – zum Äußersten kam. Es war nur das Rahmenprogramm.
    Aber das hatte es in sich.
    Bei allem, was Jan tat, wie er mich küsste und anfasste, fühlte ich mich wie eine Meeresgöttin. Eine mächtige, wunderschöne, schlüpf rige Meeresgöttin, die hoheitsvoll zulässt, wie ein ebenfalls wun der schöner junger Meeresgott ihrer Schönheit huldigt. Er war der Abenteurer, ich die verbotene Stadt; er war der Tiefseetaucher, ich die Perle; er Romeo, ich Julia.
    Da konnte Ose mit ihrer Verjüngungsmassage einpacken.
    Und Torge, das stand leider fest, hätte endgültig nicht mehr zusehen dürfen.
    »Wow«, sagte ich irgendwann erschöpft und rutschte von Jan herunter. »Wow.«
    Ich redete sogar wieder wie ein Teenager. Schlimm war das.
    Sanft fuhr Jan über meine Augenbrauen.
    »Die sind so schön«, sagte er, »total symmetrisch. Aber das haben dir ja sicher schon viele Männer gesagt.«
    Ich musste kichern, und er kicherte mit, obwohl er nicht wissen konnte, was so lustig war. Von schön hatte in meinem Ayurveda-Fragebogen jedenfalls nichts gestanden.
    »Nein«, sagte ich schließlich, »eher nicht so.«
    Jan schüttelte mit gespielter Entrüstung den Kopf. »Was hast du denn sonst für Kerle gehabt?«, fragte er. »Vom Blindenverein?«
    »Soll ich dir mal was verraten?« Er nickte eifrig, kindlich.
    »So etwas … ich meine, nicht, dass ich nicht wüsste, wie so was geht. Ich hab schließlich eine Tochter. Aber in dieser Art … jedenfalls, es ist siebzehn Jahre her, dass ich so etwas zuletzt erlebt habe. Zum ersten Mal. Mit einem neuen Mann.«
    Er starrte mich ungläubig an.
    »Vor siebzehn Jahren?«, murmelte er. »Da hab ich gerade mein erstes Fußballturnier gewonnen. In der F-Jugend.«
    »Du könntest mein Sohn sein!«
    »Bin ich aber nicht. Cool, oder?«
    »Sehr cool.«
    Und dann kam die Flut schon wieder. Diesmal mit Sturm.

21
    Mitten in der Nacht erwachte ich mit einer pelzigen Zunge im Mund, erfüllt von einem panischen Gedanken.
    Ich hatte versagt.
    Und nicht nur einfach so, wie man versagt beim Versuch, Foto-Software auf einem Rechner zu aktualisieren oder eine Schichttorte zu backen, sondern versagt mit Pauken und Trompeten. Krachend hatte ich etwas an die Wand gefahren, und ich wagte kaum, durch die Finger vor meinen Augen hindurchzulinsen vor Angst, was ich zu sehen bekommen würde.
    Im ersten Moment wusste ich nicht, woher dieser Gedanke kam. Rasch ging ich die Bilder durch, diese frischen Schnapp schüsse, die sich schon so tief in meine Hirnrinde eingebrannt hat ten, als lägen sie dort seit Jahren. Jans Gesicht über meinem, die kräftige Linie seines Kiefers, seine großen Hände, die mit einer aufregenden Präzision jeden Zentimeter meines Körpers erkundet hatten. Vielleicht hatte die Windjacke doch nicht besonders gut zum

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