Friesenkinder
vorzeitig zu entlassen, geantwortet. »Mit einer entzündeten und vor allem offenen Bauchwunde ist nicht zu scherzen.«
»Aber wer garantiert uns, dass unser Kind nicht auch entführt wird?«
Der Sohn von Miriam Kuipers war spurlos verschwunden. Als ihre Bettnachbarin am gestrigen Morgen ihr Kind auf der Säuglingsstation hatte besuchen wollen, war das Wärmebettchen leer gewesen. Seitdem herrschten Angst und Schrecken auf der Station. Wie konnte ein Neugeborenes einfach so verschwinden?
Die Polizei ging von einer Entführung aus, hatte alle Patienten, Angehörigen und das gesamte Pflegepersonal befragt. Doch niemand, wirklich niemand hatte etwas gesehen. Das Kind schien wie vom Erdboden verschluckt.
Natürlich hatte die Presse bereits Wind davon bekommen. Irgendeiner plauderte ja immer. Und so schürten die Artikel in der aktuellen Ausgabe des Nordfriesland Tageblatts, das am Kiosk im Erdgeschoss erhältlich war, die Ängste der Mütter und Väter auf der Abteilung.
»Dann rufe ich aber Dirk an. Vielleicht kann der etwas für uns tun«, entgegnete Marlene, während sie Niklas schützend an sich zog.
»Aber Dirk ist hier gar nicht zuständig«, bemerkte Tom.
»Und wenn, er ist immerhin der Chef in Niebüll. Vielleicht hat er Beziehungen.«
Tom zweifelte stark, ob Dirk Thamsens Einfluss so mächtig war, um einen Polizeischutz auf der Station zu organisieren. Sie hatten die Husumer Polizisten ja bereits gebeten, einen Mann zur Bewachung der Kinder abzustellen, aber die Antwort darauf war ernüchternd gewesen.
»Das ist Sache der Klinik«, hatte der Beamte gesagt und war mit den Protokollen der Befragungen verschwunden. Seitdem hatten sie niemanden von der Polizei mehr gesehen.
Miriam Kuipers hatte man auf ein Einzelzimmer verlegt und mit Medikamenten ruhiggestellt. Mehr konnte man im Augenblick vonseiten der Ärzte nicht für sie tun. Außer zu hoffen, das Baby würde schnell gefunden, blieb ihnen nichts, was sie tun konnten. Der Kleine war noch sehr schwach und brauchte dringend regelmäßige ärztliche Versorgung.
»Dirk?« Marlene schluchzte, als sie die Stimme des Freundes am anderen Ende der Leitung hörte. Nun würde alles gut werden. Sie vertraute Dirk Thamsen. Er würde ihr helfen. So wie er es bei der Aufklärung des Mordes an ihrer besten Freundin Heike getan hatte. Damals vor mehr als sechs Jahren, als sie sich kennenlernten. Seitdem war eine Menge passiert und Dirk immer mehr zu ihrem Freund geworden. Und seit er sie vor gut drei Jahren zum Traualtar geleitet und ihre Ehe mit Tom bezeugt hatte, war ihre Freundschaft noch intensiver geworden.
»Marlene, was ist los?«
Unter Tränen erzählte sie ihm, was in der Klinik geschehen war.
»Geht es euch gut?« Thamsens erste Sorge galt den Freunden.
»Wir haben Angst.«
Dirk verstand Marlene. Er konnte sich vorstellen, wie es sich anfühlte, an einem Ort zu sein, an dem Gefahr für das eigene Kind bestand. Er hätte ebenfalls Angst um Anne und Timo, ganz gleich, wie alt sie waren. Er hatte jeden Tag Angst um seine Kinder. Wenn sie auf dem Weg zur Schule waren, wenn sie dort waren, wenn sie sonst wohin unterwegs waren. Heute passierte so viel und niemand wusste das besser als er. Nur, das sagte er der Freundin nicht. Und er sagte ihr auch nicht, dass er eigentlich nicht zuständig war im Falle einer Kindsentführung in Husum.
»Ich komme«, sicherte er Marlene zu und blickte dabei auf die Uhr. »In zwei Stunden kann ich bei euch sein.«
Als Dirk auf den Parkplatz der Klinik fuhr, sah er die Journalisten vor dem Eingang stehen. Wie die Geier kreisten sie um jeden, der das Krankenhaus betrat oder verließ. Das verschwundene Baby war natürlich die Sensation, aber wahrscheinlich war den Reportern gar nicht bewusst, welchen Schaden sie mit ihrer Berichterstattung anrichteten. Besonders objektiv konnte er sich die Schlagzeilen, die sie aus dem Fall machen würden, jedenfalls nicht vorstellen. Dazu kannte er die Leute zu gut.
Er beeilte sich, in die Klinik zu kommen, und wimmelte die neugierigen Journalisten, die ihn natürlich erkannt hatten, mit »Kein Kommentar« ab.
Tom und Marlene saßen zusammen im Bett und hielten den Kleinen fest in den Armen, als er das Zimmer betrat. Das Nachbarbett war leer und würde es vermutlich auch die nächsten Tage bleiben. Wer wollte sein Kind schon in einer Klinik zur Welt bringen, in der die Babys verschwanden?
»Dirk!«, rief Marlene erleichtert, als sie den Freund sah. Er trat neben sie ans Bett und legte ihr
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