Friesenwut - Kriminalroman
hinausgesegelt,
wurde ihm bewusst. Er hatte keinerlei Informationen über Wind und Wetter
eingeholt, nicht mal die Tidezeiten kannte er, auch das wurde ihm jetzt klar.
›Anfänger‹, ging es ihm durch den Kopf, und: ›Nee, schlimmer noch‹. Er erschrak
über sich selbst. Da er nicht unerfahren war, wusste er, was aus seinem
unverantwortlichen Handeln resultieren konnte. Im Westen, irgendwo über Borkum,
schienen dunkle Wolken aufzuziehen. Doch er war sehr erschöpft und nicht mehr
bei der Sache. Im Moment fühlte er die Sonne in sein Gesicht scheinen, den
frischen Wind um die Nase wehen, genoss den Geruch des Meeres und die
unendliche Weite. Er war so furchtbar müde, Schlaf hatte er in den letzten
Wochen nur wenig und sehr mühsam gefunden. Er war am Ende.
Der einsame Segler
schloss kurze Zeit die Augen. War das herrlich, die große Freiheit um ihn
herum, auf einem kleinen Boot. Einsam und frei – weg aus der Enge der
Kreditgespräche in der Bank und der Ummantelung polizeilicher Befragungen. Und
zwischendurch nervte dann noch Rehna Reemts … Es war zwar ziemlich kühl, die
frische Luft tat ihm gut. Plötzlich übermannte ihn die Müdigkeit. »Ich muss
zurück«, sagte er zu sich selbst, und hielt dennoch Kurs. Die Jolle machte
ordentlich Fahrt über Grund, zwar nahm die Bewölkung zu, ebenso der Wind, aber
alles in allem waren es ideale Segelbedingungen. Offenes Wasser, Freiheit! Die
vorherigen Tage und Nächte, in denen er viel nachgedacht, seinen Job erledigt
und sehr, sehr wenig geschlafen hatte, forderten jetzt ihren Tribut. Marten
fiel es immer schwerer, sich wach zu halten. Der Wind stand gut, nur ein kurzes
Nickerchen …, doch einschlafen durfte er auf keinen Fall! Das Wattenmeer war
kein Badesee, wo er seicht am nächsten Ufer auflief, wenn er nicht aufpasste.
Hier brauchte es volle Aufmerksamkeit. Er öffnete die Augen mühsam und dachte
an die berühmten Streichhölzer, die er sich zwischen die Lider stecken müsste.
Dann streckte er sich noch einmal mit der Absicht, sich wieder aufrecht in die
Back zu setzen. Wenn er doch einfach nur weitersegeln könnte, hinaus auf die
Nordsee, alles andere hinter sich lassen! Bekannte von ihm waren mal bis nach
London gefahren, allerdings mit einer seegängigen Motoryacht … Er drehte den
Kopf in die Sonne, sie war warm. Der Wind nahm zu, noch blies er nur sanft über
sein Gesicht. Dann lehnte er sich zurück, sein Kopf fiel nach vorn auf die
Brust. Ungemütlich war es, und trotzdem schlief er ein, tief und fest. Die
Pinne hielt er instinktiv fest. Das Boot lief Kurs. Aber hier auf dem
Wattenmeer ging es nicht immer nur geradeaus, wie im Leben auch.
25
Ein lautes Geräusch
riss Sommer aus seinen wirren Träumen. Die Jolle war aufgelaufen, das Boot saß
fest. Untiefe? Sandbank? Marten war nicht zum ersten Mal auf See.
Allerdings – das letzte Mal war lange her. Nun saß er auf einer
gottverdammten Bank, wieder ein Anfängerfehler. Völlig woanders mit den
Gedanken, eingeschlafen. Da sah man mal, wie das Ganze an ihm gezehrt hatte. Er
bekam keine Panik. Er würde das Boot schon wieder flottkriegen. Wie lang war er
jetzt unterwegs? Marten rechnete. Und wurde blass. Wenn er sich nicht täuschte,
dann …
Die Annahme, es wäre
ein Leichtes, von der Sandbank wegzukommen, erwies sich als falsch. Marten
hatte die ganze Situation offenen Auges verpennt, in all seinen
gedankenverlorenen Überlegungen waren ihm eine ganze Reihe dummer Fehler
unterlaufen. Das Nickerchen hatte den Rest besorgt. Er war zu weit draußen,
viel zu weit. Richtung Westen sah er eine Insel. Das musste Memmert sein,
Seevogelschutzgebiet, Zutritt verboten. Er war irgendwo auf dem Nordland, das
sich der kleinen Insel, auf der es nur ein einziges Wohnhaus gab, östlich
anschloss. Wo war die Memmert-Balje? Er sah die Pricken. Dort hätte er
hingemusst. Dies war jedoch nur die eine Seite des Problems. Zwar wusste Marten
nicht genau, wie lange er geschlafen hatte, doch war ihm klar, dass die Ebbe
eingesetzt hatte. Es gab viele Flachwasserbereiche im Wattenmeer. Hier konnte
man sogar bei auflaufendem Wasser noch locker über die Sandbänke gehen,
allenfalls knietief im kühlen Nass. Jetzt würde das Wasser ablaufen, und das
ging manchmal rasend schnell. Und ihm war schlagartig bewusst, was das hieß.
Mitsamt seiner Jeans stieg er in das Wasser. Das reichte ihm gerade bis zum
Knöchel. In unmittelbarer Nähe sah er Austernfischer und nicht weit entfernt
Strandläufer im
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