Frisch gemacht!
Anrufe entgegen.« »Scheiße, so eine Scheiße«, mit diesen Worten rennt Dirk davon. Ich höre mir noch zweimal das Estland-Debakel an, lasse mich von fremden Menschen telefonisch demütigen, und beim dritten Anrufer habe ich Glück. »Martha und Sonnenschein mit Mock allein«, trällert eine junge Frau. »Ich habe eine«, melde ich dem Regisseur. »Wurde ja auch Zeit, stell sie durch, schnell«, raunzt er mich an.
Ich stelle Kira, so heißt die Anruferin aus dem Rodgau, rüber ins Studio. Will beglückwünscht sie ekstatisch. »Kira, phantastisch, du hast das fabelhafte Wochenende für die Schönheit gewonnen, das wird sicher ein Heidenspaß«, gratuliert er ihr. »Wie gefällt dir die Sendung und das atemberaubende Kleid unseres Gastes?«, plaudert er noch ein wenig weiter. Kira kichert. »Ja, die Sendung ist toll, aber das Kleid kann ich nicht sehen. Ich bin nämlich blind.« Will schaut für einen kurzen Moment richtig blöd. Da kann Kira direkt froh sein, dass sie das nicht sehen muss. Mit Überraschungen dieser Art kann Will schlecht umgehen. »Toll, dass du trotzdem unsere Sendung guckst, also ich meine, hörst«, versucht er, auf die Blind-Nachricht zu reagieren. Ich bin froh, dass unsere Telefonaktion damit beendet ist.
Jetzt muss Will aber dringend was zu Estland sagen. Das Problem ist nur, ihm das während der laufenden Sendung zu verklickern. Tim, der Redaktionsleiter, ist aus der Regie runter ins Studio gekommen, und gemeinsam schreiben wir ein großes Pappschild. Will benutzt keinen Teleprompter, sondern liest lieber von Pappschildern ab. Hektisch schreiben wir ein zusätzliches. Platz für lange Botschaften ist da nicht. Also kritzelt Tim: Bitte entschuldige dich – wir haben Estland auf der Karte vergessen!!! Aktionen dieser Art hasst Will. Abweichungen vom Sendeplan verunsichern ihn. Er schaut fragend. Die Mock versucht gerade, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie die Frau des britischen Premiers heißt und wie viele Kinder die beiden haben. Sie steht total auf dem Schlauch. Will versucht zu helfen. »Es reimt sich auf Fair – also der Nachname«, wirft er
ihr eine verbale Krücke hin. »Hair«, sagt sie freundlich. »Nicht ganz, aber fast«, feuert Will sie an. Während sie noch angestrengt nachdenkt, nutzt Will den Moment für unsere Estlandkrise. »Übrigens, liebe Zuschauer, Sie haben sich sicherlich gewundert, dass Estland auf unserer Karte fehlt. Wir haben das natürlich gewusst, es war ein reines Platzproblem und wir mussten das eine oder andere Land einfach weglassen. Seien Sie uns deshalb bitte nicht böse.« Der hat ja wohl einen Kompletthau. Statt zu sagen »Wir haben es leider vergessen«, tut der auch noch so, als wäre es Absicht. Wäre ich Estin – oder sagt man Estländerin? –, ich wäre zu Tode beleidigt. Warum nicht Österreich oder Portugal oder die Ukraine, würde ich denken. Wie kommen die dazu, ausgerechnet mein Land wegzulassen? Ich überlege, ob ich eventuell schuld bin. Wie konnte das überhaupt passieren? Sind die von der Requisite zu doof, eine Europakarte zu kopieren? Natürlich könnte man auch sagen, sind die von der Redaktion zu doof zu merken, dass ein Staat fehlt.
Will legt nochmal nach. »Wir wollten testen, wie aufmerksam unsere Zuschauer, also Sie da draußen an den Fernsehgeräten, sind, und ich muss sagen, wir sind stolz auf Sie. Viele haben unseren kleinen eingebauten Fehler bemerkt. Wir können also mit Fug und Recht behaupten, wir haben aufmerksame Zuschauer.« Mittlerweile hat die Mock auch das Lösungswort: »Blair«, ruft sie stolz, und die Zuschauer applaudieren, als hätte sie wer weiß was geleistet. Jetzt muss sie in Pisa noch eine Aufgabe der Pisa-Studie lösen. Eine Textverständnisaufgabe. Sie schafft es. Ist vielleicht doch nicht so doof, wie Giselle behauptet hat. Andererseits
sind es Aufgaben, die ansonsten Kinder schaffen müssen. Das relativiert den Erfolg natürlich gleich wieder. Zum Schluss der Sendung singen Will und die Mock zusammen, und Will überreicht den Wahnsinnsblumenstrauß. Die Mock bedankt sich artig, und die Sendung ist aus.
Das Schönste an unserer Sendung findet nach der Sendung statt. Die After-Show-Party, wie Will unsere kleine Zusammenkunft nennt. Jeder, der bei der Sendung dabei war, bis auf die Zuschauer, darf mitfeiern. Vorher gibt Will noch ein paar Autogramme. »Was muss, das muss«, seufzt er jedes Mal. Heute wird er nicht arg belästigt. Die meisten wollen ein Autogramm von der Mock.
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