Frisch gemacht!
Antwort. Dann will Billie in Ruhe mit mir über die Mock’schen Lippen sprechen. »Hast du gesehen, was die für eine Oberlippe hat, ein richtiger Wulst ist das, wie bei diesen afrikanischen Frauen, die sich da was reinarbeiten lassen. Die kann ja kaum mehr normal sprechen. Hast du gesehen, was die für ein Mündchen macht, wenn sie was sagen will? Wenn alle so Lippen hätten, kämen wir mit unserem monatlichen Lippenstiftkontingent niemals hin«, legt Billie mit dem Lästern los. Eigentlich ein hübsches Thema, aber die Miss Marple in mir hat Besseres zu tun. Ich brauche die Lederjacke. Auf dem Fernsehmonitor sehe ich Will im Publikum. Zuschauerkontakt kommt immer sehr gut an. Anett dürfte, wenn alles nach Plan läuft, und so sieht es aus, hinter der Bühne sein und sich umziehen. Lutz, der Regisseur, braucht die freie Bühne, um blitzschnell die Folie entfernen zu lassen. Gleich wird unser
Prunkstück die Bühne schmücken. Unser Mega-Europapuzzle. Auf das Puzzle bin ich richtig stolz. Ohne meine besonderen Beziehungen zur Requisite wäre das nie was geworden. Auch wenn es draußen an den Bildschirmen keiner weiß, für mein Ego ist es Balsam.
Ich finde die Jacke in Mocks Garderobe. Zum Glück hat sie nicht abgeschlossen. Selbst den Fernseher hat sie angelassen. Will und Anett hüpfen gerade auf Schweden herum. Die weißen Lackstiefel stehen der Mock phantastisch. Zum Playbackband singen sie »The winner takes it all«. Am liebsten würde ich mich in den Sessel schmeißen und in aller Ruhe die Sendung gucken. Aber ich habe eine Aufgabe. Denk an Sandra, ermahne ich mich. Trotzdem, so allein in der Garderobe wird es mir ein bisschen mulmig. Aber ich tue es für meine Freundin, und außerdem gibt’s wirklich schwierigere kriminalistische Situationen. Da kenne ich mich aus. Jedenfalls theoretisch. Schließlich gucke ich Woche für Woche Tatort. Gerade als ich die erste Jackentasche durchwühle, steht die Tritsch in der Tür. Deshalb war nicht abgeschlossen. Deshalb läuft der Fernseher. Na klar, die Tritsch schaut die Sendung hier. Hat sie sogar vorher mal beiläufig erwähnt. »Nein danke, ich sitze nicht gern im Publikum, ich kann mich besser auf Anett konzentrieren, wenn ich allein schaue«, hat sie Will noch gesagt. Wenn ich Menschen besser zuhören würde, stünde ich jetzt nicht dermaßen im Fettnapf. Die Tritsch starrt mich an wie eine Schwerverbrecherin. »Suchen sie was Bestimmtes?«, fragt sie mich mit eiskalter Stimme und einem Blick, der »Wachdienst, bitte kommen« schreit. »Nee, also doch, ja natürlich«, stammle ich, »der Oskar braucht seine Jacke. Er hat
mich gebeten, sie zu holen, und ich dachte, es macht Ihnen nichts, wenn ich Sie eben mal störe.« Sie mustert mich skeptisch. »So, der Oskar braucht seine Jacke. Haben Sie keine Heizung im Studio?«, weitet sie ihr Verhör aus. Sie merkt, dass ich lüge. Gleich wird die GSG 9 das Zimmer stürmen. »Ja, was stehen Sie dann so rum, nehmen Sie die Jacke, ich will in Ruhe weitergucken«, komplimentiert sie mich aus dem Zimmer. Jetzt muss ich sie mitnehmen. Ich schnappe die Lederjacke vom Haken, und mit einem »Also schönen Dank und viel Spaß noch« verabschiede ich mich schnellstmöglich. Die Zeit drängt. Nach Schweden kommt nur noch England und dann Italien, dann steht das Quiz auf dem Ablaufplan der Sendung. Was mache ich denn jetzt nur mit der Jacke? Ich flüchte zu Billie in die Maske. »Du schon wieder«, sagt sie nur. »Ich erkläre dir alles später«, würge ich jedes Gespräch schon vor Beginn ab. Wo ist die Karte? In der Innentasche. Als ich lese, was die Mock geschrieben hat, weiß ich, mein peinlicher Auftritt eben hat sich gelohnt. »Dem süßesten hessischen Knackpo von deiner Anett« steht da fein säuberlich mit silberfarbenem Lackstift geschrieben. Drunter ein Herz und ein Kussmund. Das ist keinesfalls die Normalausgabe einer Mock’schen Autogrammkarte. Die Jacke lasse ich in der Maske, das eindeutige Beweisstück stecke ich ein.
Jetzt schnell zurück zu meinem Telefon. Immerhin, ich bin rechtzeitig. Es blinkt zwar auf allen Leitungen, aber das Gewinnspiel hat noch nicht begonnen. Dass diese Vollidioten immer schon Minuten vorher anrufen. Aber so blöd, wie man denkt, sind die Zuschauer halt doch nicht. Da wir Woche für Woche eine ähnliche Nummer haben, probieren
sie die unterschiedlichen Kombinationen halt aus. »Nur mit der Ruhe«, rede ich dem Telefon zu, »erst wenn Will seine Frage gestellt hat, darf ich
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