Frisch gemacht!
Schließlich will man vor dem Herrn Doktor ja nicht wie eine tumbe, hörige, uninformierte Person wirken. Es ist also keine Riesenüberraschung, als mein Kinderarzt, Dr.Hiller, ein kleiner, moppeliger Glatzkopf, mir die Impffrage stellt. »Und, Frau Schnidt, wie sieht es aus? Impfen, ja oder nein?« »Was meinen Sie denn?«, frage ich engagiert zurück. Auch um ihm eine kleine Freude zu machen. Alle Männer präsentieren gerne ihre Meinung. Besonders kleine Männer. Da macht ein Kinderarzt keine Ausnahme. So sind sie halt. Dr.Hiller ist für das Impfen. Ohne Einschränkung: »Was man hat, das hat man. Und krank werden die Kinder auch so noch genug. Gucken Sie nur in mein Wartezimmer, da wissen Sie, was ich meine.« So richtig überzeugend finde ich das Argument nicht. »Und was ist mit den Impfschäden? Und den nicht ausgereiften Nervenverbindungen? Und dem Nutzen der durchgemachten Krankheiten?«, ballere ich ihn mit Fragen zu. Er schaut gelangweilt durch die Gegend. »Ach, Frau Schnidt, wenn Sie die Folgeschäden von, sagen wir Mumps und Masern schon mal gesehen hätten, dann stünden wir jetzt nicht hier. Hirnhautentzündung sage ich nur. Hodenentzündung.« Hodenentzündung ist bei Claudia
sicher nicht die größte Gefahr. Trotzdem, noch weitere fünf Minuten, und ich bin überzeugt. Eine gewisse fachliche Kompetenz kann ich ihm ja nun auch nicht absprechen. Ich nehme das Komplettprogramm, bis auf Tuberkulose. Keuchhusten ist ja auch äußerst umstritten. Aber seit ich die Schauergeschichte von Doro, einer Nachbarin, gehört habe, deren Tochter Klara sechs Wochen lang gehustet und danach meistens noch erbrochen hat, weiß ich, dass ich das keinesfalls möchte. Dreimal nachts das Bett frisch beziehen? Ich finde, Kinder machen genug Arbeit. Keuchhusten brauche ich da nicht noch zusätzlich. Außerdem, sollte man die Errungenschaften der Wissenschaft nicht auch nutzen? Wasche ich noch per Hand? Nein.
Aber die Entscheidung beschäftigt mich. Habe ich mich von einer Obrigkeit, noch dazu ohne Kittel, einlullen lassen? Habe ich es mir zu leicht gemacht? Denke ich nur an mich und zu wenig an meine Tochter? Christoph beruhigt mich: »Wird schon richtig so sein, die meisten machen es doch«, ist sein Argument. Schöner Lemming. Zwei Frauen aus meiner Pekip-Gruppe finden meine Entscheidung beschämend. Egoistisch. Nicht langfristig gedacht. »Keiner kennt die Folgen der Impfwut«, ermahnen sie mich. Sie planen sogar schon Masern-Partys. Das kranke Kind lädt ein, und die Gäste tun alles, um sich ja anzustecken. »Jede überstandene Krankheit stärkt das Immunsystem«, legen sie noch einen drauf.
Ich bin verwirrt, aber die Sache ist gelaufen. Es ist zu spät: Claudia ist geimpft. Drin ist drin. Einmal angefangen, muss man die Sache auch zu Ende führen. Hoffen wir mal das Beste.
Seit vier Wochen gehen wir zum Pekip. Was sich anhört wie ein asiatischer Kampf-Kleinhund ist die angesagteste Mutter-Kind-Beschäftigung. Das so genannte Prager-Eltern-Kind-Programm. Was nicht heißt, dass Eltern und Kind gemeinsam nach Prag fahren, Altstadt gucken und Zwetschgenknödel essen. Nein, keineswegs. Es geht ums Spielen. Das Zusammenspiel von Eltern und Kind. Verstehen, was die Babys uns sagen wollen. Ein Pekip-Treffen dauert etwa eineinhalb Stunden. Wobei einige Zeit fürs An- und Ausziehen draufgeht. Erst mal wird sich bei Pekip nämlich nackig gemacht. Zum Glück müssen sich nur die Kinder ausziehen. »Können die nicht auch angezogen kommunizieren?«, frage ich beim ersten Zusammentreffen noch einfach so in die Runde. Schließlich würde das uns allen eine Menge Aufwand ersparen. Kein Kind lässt sich wahnsinnig gerne an- und ausziehen. Außerdem entspricht es doch mehr den realen Umständen. Kommunikation findet, jedenfalls im Anfangsstadium der menschlichen Beziehungen, doch meist angezogen statt. Die Kursleiterin ist erstaunt über meine Frage, guckt, als hätte ich was von wegen »die Erde ist doch eine Scheibe, oder?« wissen wollen, aber dann beantwortet sie doch recht gelassen meine Frage. Ist eben eine Profi-Pekiperin.«Frau Schnidt, Kleidung ist den Kleinen lästig, sie sind wesentlich bewegungsfreudiger, wenn sie diesen Ballast los sind. Ein gutes Körpergefühl setzt Nacktheit voraus.« Na, wenn dem so ist, von mir aus. Am Ausziehen soll es nicht scheitern. Claudia kann sich schließlich sehen lassen. Allerdings bin ich froh, dass diese Regeln in meinem Fitnessstudio nicht gelten. Wir alle nackt an den
Weitere Kostenlose Bücher