Frisch gemacht!
den Worten: »Jetzt mach mal nicht so ein Gesicht, meine Eltern springen doch ein, wenn alle Stricke reißen«, zieht er die Tür hinter sich zu. Ich könnte hinterherhechten und ihn im Treppenhaus in Stücke reißen.
Heute bin ich aber auch besonders geladen. Nicht nur, weil 5 . 30 Uhr nicht meine bevorzugte Aufstehzeit ist. Ich glaube, es ist auch PMS . Oder Föhn. Aber in Hessen gibt’s ja angeblich keinen Föhn. Also dann PMS . Seit vier Tagen warte ich auf meine Tage. Kein Grund zur Aufregung, ich
gehöre nicht zu den Frauen, bei denen alles uhrwerksmäßig abläuft. Mal vier Tage zu früh, mal fünf zu spät. PMS habe ich aber immer. Prämenstruelles Irgendwas. In der Phase explodiere ich schneller. Bin von null auf hundert in einer Zeit, die Ferraris frustrieren würde. Ich probiere meine Mutter zu erreichen. Der Anrufbeantworter läuft. »Hinterlassen Sie nach dem Signalton bitte eine Nachricht.« Ich lege auf. Bis die es geschafft hat, das Gerät abzuhören, ist Claudia wahrscheinlich schon eingeschult. Meine Mutter ist im Umgang mit technischen Geräten keine Koryphäe. Meine Schwester hat ihr den Anrufbeantworter zu Weihnachten geschenkt und das, obwohl meine Mutter ausdrücklich keinen wollte. »Wenn jemand mich erreichen will, kann er es doch noch mal probieren. Sonst wird es schon nicht so wichtig sein« ist ihr Argument gegen die Dinger. Aber meine Schwester interessiert sich nicht für anderleuts Meinung. »Du wirst dich schnell dran gewöhnen und dich in kurzer Zeit fragen, wie du je ohne ausgekommen bist«, mit diesen Worten hat sie meiner Mutter das Geschenk überreicht. Die beiden sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Das hat meine Mutter nun davon. Und ich auch. Oft schafft es meine Mutter nicht, das Telefon zu finden, bevor der Apparat anspringt. So ist es heute Morgen garantiert auch. Die ist doch um diese Zeit nie und nimmer schon auf dem Golfplatz. Jetzt wird es langsam eng. Entweder ich sage im Büro ab, oder ich nehme Claudia mit. Aber ein fiebriges Kind durch die Gegend zu kutschieren ist nicht gerade die krönende Idee. Und bei Will käme das auch nicht gut an. So hyperkeimphobisch, wie der ist. Zwei Tage vor der Sendung. Nee, das ist keinesfalls eine gute Idee.
Von meinen Freundinnen scheiden die meisten aus. Entweder sie haben selbst Kinder, die sich anstecken könnten, oder sie arbeiten.
Ha – da dämmert es mir. Sabine. Meine Freundin Sabine hat die Woche frei. Resturlaub. Und die ist mir eh noch den einen oder anderen Gefallen schuldig. Sie scheint es zu wissen, denn sie willigt ein. Nach etwas gutem Zureden und dem Hinweis auf ihren Lover, den sie eindeutig mir verdankt. Schließlich hat sie ihn auf
meiner
Wochenbettstation kennen gelernt. Und die beiden sind seitdem das Paradepaar. Das Glück auf vier Beinen. Die lebende Menschensymbiose.
»Du bist meine Freundin fürs Leben«, überschütte ich sie mit Dankbarkeit. »Ist das ’ne Drohung?«, macht sie einen kleinen Scherz und verspricht, in zwanzig Minuten bei mir auf der Matte zu stehen. Ich trällere »That’s what friends are for« und fühle mich wahnsinnig geliebt. Sie hält Wort. Steht pünktlich und gut gelaunt vor der Tür, und das, obwohl sie an freien Tagen normalerweise nie vor elf Uhr auch nur die Bettdecke lüpft. Ich muss ihr auf jeden Fall ein paar Blümchen besorgen. Schnell erkläre ich ihr noch die Basics der Kinderkrankenpflege, gebe ihr alle Nummern, unter denen wir erreichbar sind, und mache mich auf die Socken. Zu spät bin ich heute auf jeden Fall. Aber besser als gar nicht da, tröste ich mich. Hätte mich ja auch krankmelden können. Ich bin eine wahre Arbeitsbiene. Die Inkarnation der Zuverlässigkeit. Schnidt, du bekommst die Arbeitsmedaille.
Donnerstag, 9 . 30 Uhr
Sandra und Tim sind vor mir da. Obwohl ich wenigstens keinen Schlenker über den Kindergarten fahren musste. Und wieder ohne Kohlsuppe dastehe. Das fällt mir aber erst ein, als ich Sandras erwartungsvolles Gesicht sehe. »Sandra, entschuldige bitte, Claudia ist total krank, ich habe die Suppe zu Hause vergessen«, gehe ich mit einer winzigen Notlüge in die Offensive. »Wieso vergessen, heute bin doch ich dran«, entgegnet sie erstaunt und zeigt auf ihre Tupperschüssel. Umsonst gelogen. »Was hat sie denn?«, fragt sie teilnahmsvoll nach. Sie ist die einzige meiner Kollegen, die sich heute danach erkundigt. Dem Rest der Belegschaft sind Krankheiten von irgendwelchen Kindern egal. Die meisten hier machen sich nichts aus
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