Frisch gepresst: Roman (German Edition)
»Sie ist umgeknickt«, erläutert mein Zufallsbegleiter, »und da habe ich sie schnell hergefahren. Wir kennen uns eigentlich gar nicht, aber ich konnte sie doch nicht so auf einer Party liegen lassen.«
Was geht denn hier ab? Will er der Verhärmten, die bei genauerem Hinsehen und nach einem längeren Schläfchen wahrscheinlich ziemlich attraktiv ist, klarmachen, daß er mit mir eigentlich rein gar nichts zu tun hat? Daß er noch zu haben ist? Balzen die hier vor meinen Augen und meinem dicken Klumpfuß ungeniert rum? Das ist ja wohl die Höhe. Ein ungleicher Kampf. Ich, ramponiert und apfelweinumnebelt, kann wohl schwerlich gegen eine Retterin der Menschheit anstinken. Sie sieht echt gut aus. Lange glänzende Haare zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengefaßt. Ein sympathisches Gesicht. Dunkle Augen und ein herzförmiger Mund. Kleine Sommersprossen auf der Nase. Und erst die Figur. Schmal und langbeinig flirtet sie mit Christoph: »Na, das war aber in der Tat nett von Ihnen. So höfliche Typen gibt’s heute ja kaum mehr. Na, dann schauen wir uns das Füßchen mal an.«
»Ziehen Sie mal die Nylons aus, und dann legen Sie sich hier auf die Liege«, fordert sie mich auf. Eine Umkleide ist hier nicht vorgesehen. Meine Sorge, daß ich beim Nylonstrumpfhosenausziehen eine lächerliche Figur mache, ist unbegründet. Die beiden schmachten sich dermaßen an, daß ich mich völlig unbeobachtet von meiner Strumpfhose befreien kann. War bestimmt kein eleganter Anblick. Als ich die Strumpfhose nach unseligem Gefummel endlich los bin, überlege ich, ob ich die Hose wieder anziehen oder mich in der Unterhose auf die Untersuchungsliege begeben soll. Meine Unterhose ist dank der zahlreichen Warnungen meiner Mutter: »Man weiß nie, was passiert, oben hui, unten pfui« und wie die Sprüche alle lauten, kein Problem. Ein vorzeigetaugliches Modell. Nicht zu sexy, aber auch nicht zu muttihaft. Ein ordentliches, sportliches Teil ohne Labberbund. Das Licht hier in Raum 3 spricht allerdings eindeutig dafür, die Hose schnellstmöglich wieder drüberzuziehen. Nicht cellulitisfreundlich, die Beleuchtung. Andererseits wirkt es reichlich prüde, sich sofort wieder in die Hose zu stürzen. »Was soll’s«, denke ich mir, »der Typ ist eh für mich verloren.« Die beiden sind wie vom Blitz getroffen. Ich könnte hier nackt einen Steptanz hinlegen, und es würde keine Sau auch nur hinschauen. Also in der Unterhose auf die Liege. Reflexmäßig ziehe ich wenigstens den Bauch ein und versuche, mit meinem Blazer die schlimmsten Stellen der Oberschenkel zu bedecken. »Hallo, ich wäre dann soweit«, reiße ich die beiden Turteltäubchen aus dem Liebesbann. Frau Doktor tastet sofort geschäftig an meinem Fuß herum. »Das sieht nicht gut aus«, erkennt sie. Ach nee, welch eine Überraschung. Für diese perfekte Diagnose braucht man wohl kaum ein Medizinstudium. »Muß geröntgt werden. Wir brauchen eine gehaltene Aufnahme«, bestimmt sie. »Tut das weh?« fragt sie und verbiegt dabei meinen Fuß, als wäre ich ein chinesischer Schlangenmensch im Zirkus. Ich stöhne laut auf: »Und wie.« Sie nickt weise vor sich hin. »Wahrscheinlich ein Bänderriß. Ich melde Sie zum Röntgen an. Warten Sie am Ende des Ganges.« Mit einem bezaubernden »Wir sehen uns gleich wieder« in Richtung Christoph entschwindet sie aus Raum 3. Der wirkt, als würde er aus der Hypnose erwachen und merken, daß da ja noch eine Person im Raum ist. »Da wollen wir mal zum Röntgen«, treibt er mich freudig zur Eile an. Kann es wohl kaum erwarten, seine Verhärmte wiederzusehen. »Soll ich vielleicht in der Unterhose übern Gang huschen?« frage ich ihn mit leicht empörtem Unterton. »Warum nicht, ist doch ein netter Anblick und überhaupt, da haben die hier schon anderes gesehen«, antwortet mir mein Leptosom. Netter Anblick war ja recht lieb von ihm, aber was soll »da haben die hier schon anderes gesehen« bedeuten? Die sind so leicht nicht zu schockieren oder was? Ich denke nicht daran, mich in diesem Outfit noch mehr Leuten zu präsentieren. »Ich will meine Hose, ohne gehe ich nicht«, motze ich. »Ganz wie du willst«, sagt er mit sehnsüchtigem Blick Richtung Tür. Schnell schlüpfe ich in meine Hose und den einen Pumps. Gemeinsam machen wir uns auf die Suche nach dem Röntgenraum. Auf dem Weg kommen wir an dem sogenannten Behelfs- OP vorbei. Schreckliche Laute und sogar Schreie dringen hinter der Tür hervor. Wortfetzen wie Sadistenladen und Schwanzhasserin sind zu
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