Frisch gepresst: Roman (German Edition)
voraussehbare Reaktionen sind für ihn ein Rätsel. Aber das ist nicht der einzige Grund für mein Ausharren. Ich bin nicht in der Verfassung für einen wirklich dramatischen Auftritt. Einfach zu träge. Den Schenkelchen-Spruch lasse ich ihm ausnahmsweise ungestraft durchgehen. »Um meine Schenkelchen sorge ich mich zur Zeit am wenigsten«, erwidere ich nicht etwa pampig, sondern fast schon lachend. Da ist er baff. Natürlich hat er gedacht, ich wäre wenigstens ein bißchen beleidigt. Ab und zu komplett anders reagieren, als der Partner erwartet, ist ein netter Überraschungseffekt. Irgendwann fällt ihm sogar der Umschlag auf. »Was ist denn das?« murmelt er mit einem Riesenstück Schnitzel im Mund. »Ein Briefumschlag«, betone ich ein ganz klein wenig spitzfindig. »Mach Sachen, Andrea, das wäre mir ja nie in den Sinn gekommen«, grinst er quer über den Tisch.
Das Schnitzel oder vielleicht auch das Schwein, dessen Bestandteil dieses Schnitzel ja ehemals war, muß irgendwas in sich haben, was Christoph gutlaunig macht. Wer weiß, womit sie das Vieh gemästet haben. Oder braucht ein durchschnittlicher Mann einfach ab und an eine ordentliche Portion Fleisch? Inge, meine Quasi-Schwiegermutter, behauptet das. Fleisch macht Kraft. Männer brauchen Kraft. Diese simple Gleichung ist für sie ein schlüssiger Beweis und ihr Top-Argument gegen Vegetarier, die sie für ähnlich abstruse Gesellen wie die Zeugen Jehovas hält. Auch meine zahlreichen Versuche, ihr über neueste gesundheitliche Erkenntnisse und belastetes Fleisch einen etwas tieferen Einblick in die Welt der Ernährung zu geben, sind kläglich gescheitert. Inges Meinung über Fleisch steht fest. Der Verband der Fleischindustrie wäre stolz auf sie. Der Werbespruch: »Fleisch: ein Stück Lebenskraft« könnte glatt von Inge sein, so hat sie den verinnerlicht. Ein Essen ohne Fleisch hat für sie immer noch den Hauch von »Arme-Leute-Fraß«. Fleisch ist ein Symbol. Wer kein Fleisch auf dem Tellerchen hat, hat auch sonst nicht viel. In den Anfängen unserer Beziehung haben wir Inge und Rudi mal zum Essen eingeladen. Es gab Gemüseauflauf. Und diese unschuldigen kleine Gemüse haben Inge echt beunruhigt. Wird ihr sowieso nicht gerade breit gebauter Bub mit einer solchen Frau verhungern, langsam vom Fleisch fallen, weil er keins mehr kriegt? Wir haben die Frau in ein echtes Dilemma gestürzt, und das nur, weil wir den Gemüseauflauf aus »Essen und Trinken« probiert haben. Nichts Ideologisches oder so. Reiner Zufall. Inge hat sich, während sie mißtrauisch im Gemüseauflauf gestochert hat, dezent dem Thema angenähert, irgendwas von der leckeren Wurst vom Bauernhof im tiefen Odenwald erzählt und am Ende ihres leicht diffusen Vortrags die für Inges Verhältnisse verdammt mutige Frage gestellt, »ob wir Kinder denn mal irgendwann Lust hätten, eventuell zum Fleischfondue zu kommen«. Das glückliche Strahlen auf Inges Gesicht, als wir »ja gerne« gesagt haben, wird mir immer unvergessen bleiben.
Christophs Gesicht, als er den Umschlag aufgemacht hat, ebenfalls. Er hat nämlich selten doof geguckt. Nicht etwa vor Entsetzen, sondern einfach aus bloßem Unverständnis heraus. »Von wem ist denn das hier?« hat er mich erstaunt befragt. »Von mir«, habe ich fröhlich geantwortet. »Ja und? Hat deine Freundin Sabine ein Problem oder etwa Heike, oder wer sonst ist zu geizig, einen Anwalt zu beauftragen?« hat er seine Begriffsstutzigkeit unter Beweis gestellt. Ich habe gedacht, ich fasse es nicht. Man kann ja mal auf der Leitung stehen, aber überhaupt keine zu haben, das ist schon selten. »Christoph, niemand hat ein Problem. Du wirst Vater, das ist alles«, habe ich ihn aufgeklärt. Wer lustige kleine Hinweise nicht deuten kann, muß eben direkt draufgestoßen werden. »Was, wieso denn das?« hat er relativ fassungslos gestottert. »Weil ich schwanger bin und mich nicht als das Opfer einer unbefleckten Empfängnis fühle. Ich heiße Andrea und nicht Maria«, habe ich ihm mit aller Deutlichkeit die Lage erklärt. Betretenes Schweigen im Raum. Statt überschwenglicher Freudenausbrüche die Frage: »Bist du dir sicher?« Am liebsten hätte ich die Verwirrung komplett gemacht und gesagt: »Nee, war nur mal ein Test, haha.« Habe ich aber nicht. Sondern brav abgewartet, bis der Gnädigste wieder Herr seiner Sinne war. »Ja und jetzt, was machen wir?« hat er mich voller Panik gefragt. Wie ein kleiner Bub seine Mutti. Hilf mir da raus, Mama, ich hab was Dummes
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