Frisch gepresst: Roman (German Edition)
verliere, schallt es: »Jetzt bitte nett lachen.« Mein Vater, trotz Polaroidkamera vor dem Auge, unschwer im Türrahmen zu erkennen. »Soviel Familie auf einen Aufwasch, phantastisch«, freut er sich. »Mutti braucht dringend ein Foto. Sie hat heute abend Bridge und will ihre Freundinnen neidisch machen«, erklärt er sein wahlloses Drauflosfotografieren. Dann, nachdem er Birgit ausgiebig begrüßt hat, bin endlich ich dran. »Glückwunsch, hier sind ein paar Blümchen, Geschenk hast du ja schon von Mutti, gell, Andrea«, tönt es durchs Zimmer. Mein Vater ist immer raumfüllend. Nicht nur optisch. Er ist ein großer, breiter Mann mit eindringlicher Stimme und einem Auftreten, das für andere Menschen wenig Platz läßt. Bis auf meine Mutter. Die hat sich ihren Platz geschaffen in all den Jahren ihrer Ehe. Sie ist nun mal besonders zäh und ausdauernd.
Die Blumen reiche ich direkt an meine Schwester weiter, »Wäre echt nett, wenn du mal eine Vase organisieren könntest.« Ich nutze die Gelegenheit, als sie auf Vasensuche geht, um ihrem Kind mein Kind zu entreißen. Mein Vater meint nach seiner beiläufigen Musterung, sie wäre »niedlich« und so »klein«. Er, mein Vater, das muß man allerdings der Ehrlichkeit halber zugeben, findet alle Säuglinge bis zu einem halben Jahr »niedlich und klein«. Viel mehr fällt ihm zum Thema Neugeborene nicht ein.
Bei ganz genauer Betrachtung könnte man auch auf den Gedanken kommen, daß er sich vielleicht gar nichts aus so kleinen Kindern macht. Daß er Kinder erst als menschliche Wesen wahrnimmt, wenn sie mindestens eine Tageszeitung lesen und mit ihm über Politik reden können. Oder ihm wenigstens angemessen ergriffen zuhören können bei seinen diversen Vorträgen zum Thema »Politik, und was da so alles schiefläuft«. Mein Papa liebt seine Geschäfte. Seine Arbeit. Mehrere Wochen Ferien am Stück sind ihm ein mittlerer Alptraum. Auch jetzt ist er nur mal »auf einen schnellen Sprung« vorbeigekommen. An sich muß er nämlich noch mal rasch im Büro vorbei und da was klären, bevor er zwei wichtige Termine wahrnimmt. Aufsichtsratsitzung. Birgit und ich nicken verständnisvoll. Das haben wir in all den Jahren mit meinem Vater gelernt. »War’s schlimm«, will er eben noch wissen, und als im selben Moment sein Handy klingelt, ist er, glaube ich, froh, um die Antwort drumherumzukommen. Sein hektisches Telefonat ist wahrscheinlich noch drei Stationen unter unserer zu verfolgen. Mein Vater kann ziemlich brüllen, wenn’s nötig ist. Die Müller-Wurz aber auch. »Wollen Sie uns alle dauerhaft verstrahlen«, schreit sie und schiebt ein »Ist Ihnen noch nie aufgefallen, daß in Krankenhäusern Handys verboten sind?« gleich hinterher. Mein Vater beendet sein Gespräch und beteuert der Müller-Wurz in seinem charmantesten Tonfall, er wolle eh gleich gehen und habe wirklich nicht gewußt, daß im Krankenhaus Handys verboten seien; ein Mann wie er habe überhaupt keine Zeit, in Krankenhäusern rumzuliegen.
Meine Eltern und die Müller-Wurz mögen sich wirklich auf Anhieb. Nur, daß mein Vater, im Gegensatz zu meiner Mutter, Streitereien mit Frauen wie der Müller-Wurz überhaupt nicht mag. Jetzt und hier sind sie ein prima Vorwand, um sich schnell wieder zu verziehen. Er wirft Birgit und mir einen sichtlich genervten Blick zu, wir nicken wiederum verständnisvoll zurück, und er kann erleichtert abziehen. Schließlich hat er die Polaroids für Mutter gemacht, die Schleierkrautblümchen abgegeben, das Kind kurz gemustert und somit sein Familieninteresse bewiesen. Bei meinem Vater muß einfach alles schnell gehen. Birgit, einigermaßen froh, daß ihr Kind sich wieder von der netteren Seite zeigt, beschließt, sich Papa anzuschließen. »Da kann ich dich auf dem Weg raus noch was fragen, Paps«, säuselt sie ihm ins Ohr. An sich könnte sie ihn ja auch hier was fragen. Aber wahrscheinlich geht’s um irgend etwas, das ich nicht mitbekommen soll. Zum Aufregen habe ich keinen Nerv. Ich bin zu glücklich, daß sie alle endlich gehen. Nicht, daß ich sie nicht mag, keinesfalls, aber so ganz auf der Höhe bin ich nun auch noch nicht.
Ich komme aber leider gar nicht dazu, die Ruhe zu genießen. Als meine Sippe endlich raus ist, steht eine mir fremde Frau mit freundlichem Gesicht vor meinem Bett. »Krutznel, hallo«, stellt sie sich immerhin vor. ’ne Ärztin kann es also nicht sein. So was Niederes wie Vorstellen haben die doch gar nicht nötig. »Hallo, Schnidt heiße ich«,
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