Frisch gepresst: Roman (German Edition)
er später ins Bett kriecht als ich. »Und früher aufsteht«, würde er wie aus der Pistole geschossen erwidern.
Ich habe bisher nur einmal gedacht: wie gut, wenn ich eine ebenso eifrige Frühaufsteherin wäre wie mein Lebensgefährte. Das war an dem Tag, als ich seinen Vater Rudi kennenlernte. Christoph und ich hatten eine absolut wilde Nacht. Jedes noch so aktive Karnickel wäre stolz auf uns gewesen. Zu Recht, wie ich finde. Als ich morgens, leicht lädiert von den körperlichen Strapazen der Nacht, aufwachte, war der Platz an meiner Seite leer. Er ist Brötchen holen, habe ich in meiner Naivität doch glatt angenommen. Will mich, die Königin seines Herzens, mit einem bezaubernden frischen Frühstück überraschen. Es war schließlich erst die zweite Nacht in seiner Wohnung. Und eine Menge Männer tun solche Sachen, um Frauen zu beeindrucken.
Oder zu täuschen, wie Sabine meine Freundin zu sagen pflegt. Aber in den Anfängen einer Beziehung ist die hormonelle Verwirrung oft so gigantisch, daß jegliche Vernunft abhanden gekommen scheint.
Für mich war der Mann Brötchen holen. Egal, wie spät es war. So profane Dinge wie Zeit: Wen interessiert so was schon nach einer Nacht, wie wir sie hatten? Um bei seiner Rückkehr für eine Fortsetzung ebendieser wilden Nacht gerüstet zu sein, habe ich seine Abwesenheit für eine Dusche und zum Zähneputzen genutzt. Als ich den Schlüssel im Schloß hörte, habe ich spontan entschieden, den aufmerksamen Brötchenholer für seine Verdienste um eine hungrige, sexuell ausgelastete Verliebte zu belohnen, und mich nackt auf den Vorleger in seinem Flur geworfen. Mit ausgebreiteten Armen und wollüstigem Grinsen auf den Lippen habe ich den Mann im Türrahmen angestarrt. Allerdings nur Bruchteile von Sekunden. Denn der Mann mit dem Schlüssel in der Hand, der mich unverhohlen und nicht unangetan anglotzte, war ein mir fremder Mann. Mein Fast-Schwiegervater Rudi. Aber das wußte ich damals selbstverständlich nicht. Also habe ich erst mal eine Runde gekrischen. Und mich dann, nach den ersten Sekunden des Schrecks, kein bißchen geistesgegenwärtig, sondern mehr aus einem Instinkt heraus, auf den Bauch gedreht und den Hintern mit beiden Händen so gut wie möglich zugedeckt.
Mein Schwiegervater, der, wie schon erwähnt, nicht gerade eine Plaudertasche vor dem Herrn ist, hat in dieser oberpeinlichen Situation immer noch die Form gewahrt, sich auf den Flokati gehockt, mir die Rechte hingestreckt und freundlich gesagt, wer er ist. »Angenehm, mein Name is Hundsmann, Rudi Hundsmann. Isch bin de Papa vom Christoph. Sie kenne doch sischer unseren Bub, de Christoph, odä?« Reflexartig habe ich ihm die Hand gereicht und damit meine eine Pohälfte entblößt. Unhöflich oder pofrei, war die Entscheidung, und bei dem Gesamtbild kommt es auf eine halbe freie Arsch-backe auch nicht mehr an, habe ich blitzschnell entschieden. »Schnidt, Andrea, auch sehr angenehm« habe ich ihm, dem freundlichen Mann, ins Gesicht gelogen und ein »Ihr Sohn ist ein sehr, sehr guter Freund von mir« noch als Erklärung hinterhergereicht.
Es gibt Momente im Leben, da möchte man, daß sich der Boden auftut und man, von welchen Mächten auch immer, sofort und dauerhaft verschlungen wird. Aber so Böden denken nicht daran, Wünsche von nackten Frauen, selbst solchen mit immerhin geputzten Zähnen, zu erfüllen. Das Ende unseres ungewollten Zusammentreffens: Ich bin mit einem leicht hysterischen Kichern ins Schlafzimmer gerannt, »Sie entschuldigen mich mal eben, bitte«, um meinem potentiellen Schwiegervater, der nach etwa 5 Minuten, die ich Minimum gebraucht habe, um mir was halbwegs Anständiges anzuziehen, immer noch wie eine paralysierte Eidechse im Flur stand, versuchsweise zu erklären, was ich nackt auf dem Flurflokati seines Sohnes vorhatte. Herr Hundsmann, heute für mich Rudi, war die Ruhe in Person. So gelassen, als würde er häufiger nackte, jüngere Frauen treffen, die sich enthemmt irgendwo in der Wohnung seines Bubs aufhalten. Sollte es Dinge geben, die ich über meinen neuen Liebhaber noch nicht weiß? Den knöpfe ich mir auf jeden Fall vor. Im Moment aber ist sein Papa mein Problem. Dem ist die Angelegenheit fast unangenehmer als mir: »Isch wollt nur ema nach em Wasserhahn in der Küch gucke, hat der Christoph net gesacht, des isch vorbeischauen wollt?« hat er ausgesprochen nett versucht, mich aus meiner kolossalen Verlegenheit zu holen. »Nee«, gebe ich leicht angesäuert über das
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