Frisch getraut: Roman (German Edition)
Wenn ich es nicht besser wüsste, wenn die Sprache um mich herum mit Arabisch gespickt und mit Kreuzkümmel gewürzt wäre, würde ich glauben, ich wäre in Bagdad und säße einem Fanatiker namens Mohammed gegenüber. Das Tier im Menschen flackert in tiefbraunen Augen genauso hell wie in blauen. Beide Männer …
Sebastian las sich das Geschriebene noch einmal durch und rieb sich verzweifelt das Gesicht. Was er geschrieben hatte, war gar nicht mal so schlecht , aber irgendwie daneben . Er legte die Finger wieder auf die Tastatur seines Laptops und löschte den Text mit frustrierten Hieben.
Dann stand er so ruckartig auf, dass der Küchenstuhl hinter ihm über den Hartholzboden schlitterte. Er verstand es nicht. Er hatte seine Notizen, eine Gliederung im Kopf und einen gut funktionierenden Hauptteil. Alles, was er tun musste, war, sich hinzusetzen und einen anständigen Aufmacher zu schreiben. »Verdammt!« Etwas, das sich sehr nach Angst anfühlte, brannte
in seiner Kehle und breitete sich bis in seinen Magen aus. »Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
»Hast du ein Problem?«
Er holte tief Luft, drehte sich um und sah seinen Vater an, der im Hintereingang stand. »Nein. Alles klar.« Jedenfalls gab es nichts, worüber er reden wollte. Er würde den Aufmacher schon noch hinkriegen. Bestimmt. Das Problem war ihm neu, doch er würde es bewältigen. Er ging zum Kühlschrank, griff hinein und zog eine Tüte Orangensaft heraus. Ein Bier wäre ihm lieber gewesen, aber es war noch nicht mal Mittag. Wenn er schon morgens mit Saufen anfing, müsste er sich echte Sorgen machen.
Er führte die Tüte zum Mund und nahm mehrere lange Schlucke. Der kühle Saft rann durch seine Kehle und spülte den Geschmack von Panik aus seinem Mund. Er hob den Blick von der Tüte zu einer Holzente, die oben auf dem Kühlschrank thronte. Das Messingschild identifizierte sie als Nordamerikanische Pfeifente. Eine Brautente und eine Spießente hockten über dem Kamin im Wohnzimmer. Diese Holzvögel waren überall im Haus verteilt, und Sebastian fragte sich, seit wann sein alter Herr so fasziniert von Enten war. Er ließ die Safttüte sinken und schaute seinen Vater an, der ihn unter seiner Hutkrempe beobachtete. »Brauchst du Hilfe?«, fragte Sebastian.
»Wenn du kurz Zeit hast, könntest du bei einem Möbelstück mit anfassen, das ich für Mrs. Wingate umstellen muss. Aber ich stör nur ungern, wenn du gerade am Werk bist.«
Er hätte alles dafür gegeben, tatsächlich am Werk zu sein, statt den Aufmacher immer wieder neu zu schreiben und zu löschen. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und stellte die Tüte zurück in den Kühlschrank. »Was will sie denn umgestellt haben?«, fragte er und schloss die Tür.
»Ein Sideboard.«
Er wusste zwar nicht, was zum Henker ein Sideboard war, aber es klang schwer. Wie eine willkommene Ablenkung von seinem bedrohlich näher rückenden Abgabetermin und seiner Unfähigkeit, drei zusammenhängende Sätze zu schreiben.
Er durchquerte die kleine Küche und folgte seinem Vater durch die Tür nach draußen. Alte Ulmen und Eichen warfen Schatten auf die Gartenanlagen und weißen Eisenmöbel in lauschigen Eckchen. Dann gingen sie Seite an Seite durch den Garten.
Ein perfektes Vater-Sohn-Idyll, doch die Idylle trog.
»Heute soll es schön werden«, bemerkte Sebastian, als sie an einem silbernen Lexus vorbeikamen, der neben seinem Landcruiser parkte.
»Um die zweiunddreißig Grad, hat der Wettermann vorhergesagt«, antwortete Leo.
Danach verfielen sie in ein unbehagliches Schweigen, das sich über den Großteil ihrer Gesprächsversuche zu legen schien. Sebastian wusste nicht, warum er es so schwierig fand, mit seinem alten Herrn zu reden. Er hatte schon Staatsoberhäupter, Massenmörder sowie religiöse und militärische Führer interviewt, und trotzdem fiel ihm verdammt noch mal überhaupt nichts ein, worüber er sich mit seinem Vater unterhalten könnte, abgesehen von einer flüchtigen Bemerkung übers Wetter oder darüber, was es zum Abendessen geben sollte. Und seinem Vater fiel es genauso schwer, mit ihm zu reden.
Gemeinsam gingen sie zum Hintereingang des Herrenhauses. Aus irgendeinem Grund, den Sebastian sich selbst nicht erklären konnte, stopfte er sein graues Molson-T-Shirt in seine
Levi’s und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Als er an den Kalksteinmauern emporsah, kam er sich vor, als wollte er eine Kirche betreten, und unterdrückte das Bedürfnis, sich zu bekreuzigen. Als ob
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