Frisch getraut: Roman (German Edition)
diskutieren, ohne uns anzuschreien.«
»Ach ja? Du tust geradezu so, als hätte ich bei Lonny bleiben sollen, weil er immer die richtige Gabel benutzt und beim Essen nicht schmatzt.«
Eine weitere Pause, dann sagte Joyce: »Tja, dann nehme ich mal an, es war nötig, die Hochzeit abzusagen.«
»Du nimmst es an? Ich wusste, du würdest es nicht verstehen! Ich hab hin und her überlegt, ob ich dir überhaupt etwas sagen soll, und ich sag es dir nur, weil dir sicher auffallen wird, wenn er an Thanksgiving nicht zum Abendessen erscheint.« Clares Stimme war jetzt deutlicher zu vernehmen, da sie in den großen, offenen Eingang trat. »Mir ist klar, dass er für dich der perfekte Mann war, Mutter, doch er hat sich nicht als der perfekte Mann für mich erwiesen.«
Ihre Haare waren zu einem dieser eingedrehten Pferdeschwänze frisiert, glatt und glänzend wie das Mahagoni-Sideboard. Sie trug eine weiße Kostümjacke mit großem Revers, eine tiefblaue Bluse und eine lange Perlenkette. Der Rock reichte ihr bis knapp übers Knie, und sie hatte ein Paar weiße Schuhe an, die ihre Zehen bedeckten. Die Schuhabsätze sahen aus wie Silberkugeln. Sie war piekfein herausgeputzt und zugeknöpfter als eine Nonne. Ein himmelweiter Unterschied zum letzten Mal, als er sie gesehen hatte, den Rücken an die Hotelzimmertür gepresst, mit dem halb geöffneten albernen pinkfarbenen Kleid und der Katerfrisur.
Kurz vor dem Esszimmer wandte sie sich wieder zu dem Raum, den sie verlassen hatte. »Ich brauche einen Mann, der nicht nur weiß, wo er seine Gurkengabel aufbewahrt, sondern sie auch mehr als alle Jubeljahre einmal benutzen will.«
Es ertönte ein schockiertes Luftschnappen, gefolgt von: »Das ist vulgär. Du klingst wie ein Flittchen.«
Clare legte unschuldig die Hand auf die Brust. »Ich? Ein Flittchen? Ich hab mit einem Schwulen zusammengelebt. Ich hatte so lange keinen Sex mehr, dass ich praktisch Jungfrau bin.«
Sebastian lachte laut los. Er konnte nicht anders. Die Erinnerung daran, wie sie vor ihm einen Strip hingelegt hatte, stimmte so gar nicht mit der Frau überein, die behauptete, »praktisch Jungfrau« zu sein. Bei dem Geräusch drehte sich Clare um, und ihre Blicke trafen sich. Sekundenlang schien sie die Kontrolle zu verlieren, und die glatte Haut zwischen ihren Augenbrauen runzelte sich vor Verwirrung, als hätte sie etwas entdeckt, wo es nicht hingehörte. Wie das Sideboard an der falschen Wand oder den Gärtnerssohn im Esszimmer. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, und die Falte zwischen ihren Brauen vertiefte sich. Dann aber, wie neulich Morgen, als sie sich umgedreht hatte und ihn mit nichts als einem Hotelhandtuch und ein paar Wassertropfen am Körper entdeckt hatte, fing sie sich schnell wieder und besann sich auf ihre Manieren. Sie zupfte die Manschetten ihrer Jacke zurecht und trat ins Esszimmer.
»Hallo, Sebastian. Was für eine wunderbare Überraschung!« Ihre Stimme klang durchaus freundlich, doch er glaubte ihr kein Wort. Sie zwang die Winkel ihres üppigen Mundes nach oben, doch auch das Lächeln nahm er ihr nicht ab. Vielleicht weil es nicht ganz bei ihren blauen Augen ankam. »Dein Vater ist sicher ganz hingerissen.« Sie hielt ihm die Hand hin, und er nahm sie. Ihre Finger waren ein bisschen kalt, doch er konnte fast ihre verschwitzten Handflächen spüren. »Wie lange bleibst du in der Stadt?«, fragte sie, ganz makellose Höflichkeit.
»Ich weiß nicht so recht«, antwortete er und sah ihr in die Augen. Er hatte keine Ahnung, wie »hingerissen« sein Vater über seinen Besuch war, doch Clare standen ihre Gedanken praktisch auf die Stirn geschrieben. Sie fragte sich, ob er die Ereignisse von neulich Nacht ausposaunen würde, doch er lächelte nur und tat nichts, um ihre Sorgen zu zerstreuen.
Sie entzog ihm ihre Hand, und er fragte sich, was sie tun würde, wenn er fester zupackte, ob sie dann die Fassung verlöre. Stattdessen ließ er sie los, und sie wandte sich an seinen Vater und breitete herzlich die Arme aus. »Hallo, Leo! Lange nicht gesehen.«
Der ältere Mann trat vor und umarmte sie; seine schwieligen Hände tätschelten ihren Rücken, als wäre sie noch ein Kind. Wie damals bei Sebastian, als er klein war. »Sie sollten nicht so lange wegbleiben«, sagte Leo.
»Manchmal brauche ich eben eine Auszeit.« Clare drückte trotzig den Rücken durch. »Eine lange Auszeit.«
»So schlimm ist Ihre Mutter gar nicht.«
»Zu Ihnen nicht.« Sie trat ein paar Schritte zurück und ließ die
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