Frisch getraut: Roman (German Edition)
auch er es spürte, griff Leo nach seinem Hut und zog ihn ab.
Die Angeln der Hintertür quietschten, als Leo ihm die Tür aufhielt, und das Stampfen ihrer Stiefelabsätze übertönte das Schweigen, während die beiden ein paar Steinstufen hinauf in die Küche gingen. Es war zu spät für sie. Sein Vater fühlte sich mit ihm genauso unwohl wie er mit ihm. Er sollte einfach abreisen, dachte er. Der Quälerei ein Ende bereiten. Er wusste nicht, warum er überhaupt gekommen war, und er hatte wahrlich Besseres zu tun, als schweigend bei seinem Vater rumzusitzen. In Washington State wartete eine Menge Arbeit auf ihn. Er musste das Haus seiner Mutter zum Verkauf vorbereiten und sein Leben weiterleben. Er war jetzt seit drei Tagen hier. Massenhaft Zeit, um ins Gespräch zu kommen. Es klappte nur nicht. Er würde seinem Vater noch beim Verrücken des Sideboards helfen und dann seine Sachen packen.
Die Küche wurde von einer riesigen Kücheninsel in der Mitte dominiert, und Leo warf im Vorbeigehen seinen Hut auf die zerkratzte Oberfläche. Weiße Schränke säumten die fast vier Meter hohen Wände, und die Spätvormittagssonne strömte durch die Fenster und wurde von Geräten aus rostfreiem Stahl reflektiert. Die Absätze von Sebastians Goretex-Wanderstiefeln stampften über die alten schwarz-weißen Platten, während er und sein Vater die Küche durchquerten und ein gediegenes Esszimmer betraten. Eine riesige Vase mit frisch geschnittenen Blumen stand mitten auf einem sechs Meter langen Tisch mit einer roten Damasttischdecke. Die Möbel, die
Fenster und Gardinen, alles erinnerte ihn an ein Museum. Poliert und sehr gepflegt. Es roch auch wie im Museum. Kalt und leicht muffig.
Ein dicker Läufer dämpfte ihre Schritte, während er und sein Vater auf ein kunstvoll geschnitztes Möbelstück an der Wand zusteuerten. Es hatte hohe, zierliche Beine und reich verzierte Schubladen. »Ich nehme an, das ist ein Sideboard.«
»Ja. Es stammt aus Frankreich und ist uralt. Es befindet sich schon mehr als hundert Jahre im Besitz von Mrs. Wingates Familie«, erklärte Leo, während er ein großes silbernes Teeservice vom Sideboard nahm und es auf dem Tisch absetzte.
Sebastian hatte sich schon gedacht, dass es sich um eine Antiquität handelte, und war nicht im Mindesten überrascht, dass sie aus Frankreich stammte. Ihm persönlich waren moderne, praktische Möbel mit klaren Linien lieber als alte, verspielte. »Wo sollen wir es hinrücken?«
Leo deutete auf eine Wand neben der Tür, und jeder schnappte sich ein Ende des Sideboards. Das Möbelstück war nicht schwer, und die beiden verrückten es mühelos. Als sie es am neuen Platz abstellten, tönte aus dem Nebenzimmer Joyce Wingates erhobene Stimme. »Wie hast du reagiert?«
»Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte«, antwortete eine zweite Stimme, die Sebastian sofort wiedererkannte. »Ich stand unter Schock«, fügte Clare hinzu. »Deshalb hab ich einfach das Haus verlassen und bin zurück zu Lucys Hochzeit.«
»Das ergibt alles keinen Sinn. Wie wird ein Mann so einfach schwul? Aus heiterem Himmel?«
Sebastian sah seinen Vater an, der sich unbeteiligt am Teeservice zu schaffen machte und die Zuckerdose und das Sahnekännchen aus Silber zurechtrückte.
»Ein Mann wird nicht so einfach schwul, Mutter. Rückblickend gab es genügend Anzeichen.«
»Was für Anzeichen? Ich hab keine Anzeichen gesehen.«
»Wenn ich so zurückblicke, hatte er eine unnatürliche Vorliebe für antike Auflaufförmchen.«
Auflaufförmchen? Was zum Henker waren Auflaufförmchen? Sebastians Blick kehrte zur leeren Tür zurück. Im Gegensatz zu seinem alten Herrn würde er nicht so tun, als würde er nicht lauschen. Das waren pikante Details.
»Viele Männer lieben schöne Auflaufförmchen.«
Und die zwei hatten nicht gewusst, dass der Typ schwul war?
»Nenn mir nur einen Mann, der Auflaufförmchen liebt«, verlangte Clare.
»Dieser Fernsehkoch. Mir ist sein Name entfallen.«
Es folgte eine Pause, dann fragte Joyce: »Du bist dir also sicher, dass es vorbei ist?«
»Ja.«
»Das ist schade. Lonny hatte so wunderbare Manieren. Sein Tomatenaspik wird mir fehlen.«
»Mutter, ich hab ihn mit einem Kerl ertappt. Beim Sex. In meinem Wandschrank. Zum Teufel mit dem Aspik!«
Leo trug das Teeservice zum Sideboard, und sein Blick traf Sebastians. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft sah er einen Funken Humor in den grünen Augen des älteren Mannes.
»Claresta, halt deine Zunge im Zaum. Wir können das
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