Frisch getraut: Roman (German Edition)
Hände sinken. »Vermutlich kamen Sie gar nicht umhin, unser Gespräch über Lonny mit anzuhören.« Ihre Aufmerksamkeit blieb auf Leo gerichtet, als hätte Sebastian den Raum bereits verlassen, als stünde er nicht so nahe bei ihr, dass er sehen konnte, wie vereinzelte kleine Härchen von ihrem Haaransatz abstanden.
»Ja. Mir persönlich tut es nicht leid, dass er weg ist«, verkündete Leo, senkte vertraulich die Stimme und sah sie wissend an. »Ich hatte schon immer den Verdacht, dass er vom anderen Ufer ist.«
Wenn sogar sein alter Herr gewusst hatte, dass Clares Verlobter schwul war, dann fragte sich Sebastian, wie es kam, dass Clare keinen Schimmer gehabt hatte.
»Ich will damit nicht sagen, dass es was Schlimmes ist, wenn man … Sie wissen schon … in dieser Hinsicht seltsam veranlagt ist, aber wenn ein Mann eine Vorliebe für … ähh … andere Männer hat, sollte er nicht so tun, als würde er Frauen
mögen.« Leo legte Clare tröstend die Hand auf die Schulter. »Das gehört sich nicht.«
»Sie wussten es auch, Leo?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf und ignorierte Sebastian weiter. »Warum war das für alle so offensichtlich, nur für mich nicht?«
»Weil Sie ihm glauben wollten, und manche Männer sind durchtrieben. Sie haben das Herz am rechten Fleck, und das hat er ausgenutzt. Sie haben dem richtigen Mann viel zu geben. Sie sind schön und erfolgreich, und eines Tages finden Sie auch jemanden, der Sie verdient hat.«
Seit Sebastians Ankunft hatte der alte Mann nicht mehr so viele Konsekutivsätze aneinandergereiht. Wenigstens nicht in seiner Hörweite.
»Aah.« Clare legte gerührt den Kopf zur Seite. »Sie sind der netteste Mann auf der ganzen Welt.«
Leo strahlte, und Sebastian hatte plötzlich das überwältigende Bedürfnis, Clare ein Bein zu stellen, an ihrem perfekten Pferdeschwanz zu ziehen oder sie mit Matsch zu bewerfen und ihre Klamotten schmutzig zu machen wie damals als Kind, wenn sie ihn nervte. »Ich hab deiner Mutter und meinem Vater erzählt, dass du mir neulich Abend im Double Tree über den Weg gelaufen bist«, sagte er beiläufig. »Es war wirklich schade, dass du schon gehen musstest und wir nicht mehr dazu gekommen sind, noch ein bisschen … ähh … zu plaudern.«
Endlich richtete Clare ihre Aufmerksamkeit wieder auf Sebastian und sagte mit einem kleinen falschen Lächeln: »Stimmt. Ich hab im Leben noch nie etwas so bedauert.« Dann schaute sie wieder zu Leo und fragte: »Wie kommen Sie mit Ihrer neuesten Schnitzarbeit voran?«
»Sie ist fast fertig. Sie sollten mal vorbeikommen und sie sich anschauen.«
Sebastian schob die Finger in die Taschen seiner Jeans. Sie hatte das Thema gewechselt und ließ ihn wieder links liegen. Den Themawechsel hatte er zugelassen. Vorerst. Aber er sollte verdammt sein, wenn er ihr gestattete, ihn wie Luft zu behandeln. Er lehnte sich mit dem Hintern an das Sideboard und fragte: »Was für eine Schnitzarbeit?«
»Leo schnitzt fantastische Tierfiguren.«
Das war Sebastian neu. Natürlich hatte er sie im Kutschenhaus rumstehen sehen, aber nicht gewusst, dass sie von seinem Vater stammten.
»Letztes Jahr hat er eine Ente beim Schnitzwettbewerb auf dem Western Idaho Fair eingereicht und gewonnen. Was für eine war das noch, Leo?«
»Eine Löffelente.«
»Sie war wunderschön.« Clares Gesicht strahlte, als hätte sie das Vieh höchstpersönlich geschnitzt.
»Was hast du denn gewonnen?«, fragte Sebastian seinen Vater.
»Nichts.« Eine verlegene Röte stieg an Leos Hals hinauf. »Bloß ein blaues Band, sonst nichts.«
»Ein riesiges blaues Band. Sie sind zu bescheiden. Die Konkurrenz war stark. Veni, vidi, vici .«
Sebastian beobachtete, wie die Röte bis hoch in die Wangen seines Vaters stieg. »Ich kam, ich sah, ich zeigte ein paar Holzschnitzern, was ’ne Harke ist?«
»Tja«, erwiderte Leo, den Blick verlegen auf den Teppich gerichtet, »es war nicht annähernd so ein wichtiger Preis, wie du sie öfter gewinnst, aber es war schön.«
Sebastian war nicht klar gewesen, dass sein Vater von seinen Journalistenpreisen wusste. Er erinnerte sich nicht, sie bei den wenigen Malen, die sie in all den Jahren miteinander gesprochen hatten, erwähnt zu haben, aber er musste wohl etwas gesagt haben.
Joyce betrat das Esszimmer, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet wie ein Unheilsengel, und bereitete der Diskussion über Enten und Preise ein Ende. »Hmm«, murmelte sie und deutete auf das Sideboard. »Jetzt, wo ich es dort stehen
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