Frisch getraut: Roman (German Edition)
sehe, gefällt es mir doch nicht so gut.« Sie strich sich mit einer Hand eine Strähne ihres kurzen grauen Bobs hinters Ohr und verdrehte mit der anderen die Perlenkette um ihren Hals. »Tja, ich muss das noch einmal überdenken.« Dann wandte sie sich den anderen zu und stemmte die Arme in ihre knöcherigen Hüften. »Ich bin froh, dass wir gerade zusammen sind, ich habe nämlich eine Idee.« Sie sah ihre Tochter herausfordernd an. »Falls es dir entfallen ist: Leo wird am Samstag fünfundsechzig, und nächsten Monat hat er bei uns sein dreißigjähriges Dienstjubiläum. Wie du weißt, ist er für uns von unschätzbarem Wert und gehört praktisch zur Familie. In mancher Hinsicht weit mehr, als Mr. Wingate es je getan hat.«
»Mutter«, sagte Clare warnend.
Joyce hielt gebieterisch eine dürre Hand hoch. »Ich hatte eigentlich vor, nächsten Monat eine Feier auf die Beine zu stellen, um beide Anlässe zu würdigen, doch da Sebastian jetzt in der Stadt ist, sollten wir vielleicht schon dieses Wochenende ein kleines Beisammensein mit Leos Freunden organisieren.«
»Wir?«
»Dieses Wochenende?« Sebastian hatte nicht vorgehabt, das ganze Wochenende zu bleiben.
Joyce wandte sich an Clare. »Du wirst mir doch sicher bei den Vorbereitungen helfen wollen.«
»Natürlich helfe ich, so gut ich kann. Ich arbeite meist bis um vier, aber danach habe ich frei.«
»Du kannst dir doch sicher ein paar Tage freinehmen.«
Clare sah aus, als wollte sie widersprechen, doch dann klebte im letzten Moment wieder ein falsches Lächeln in ihrem Gesicht. »Kein Problem. Ich helfe gern, wo ich nur kann.«
»Also, ich weiß nicht.« Leo schüttelte den Kopf. »Das klingt nach viel Arbeit, und Sebastian weiß noch nicht, wann er abreist.«
»Er kann doch sicher noch ein paar Tage bleiben.« Und dann bat die Frau, die ihn einst von ihrem Grund und Boden verbannt hatte wie eine Königin: »Könnten Sie bitte noch bleiben?«
Er öffnete den Mund, um Nein zu sagen, doch stattdessen kam etwas anderes heraus. »Warum nicht?«, hörte er sich sagen.
Warum nicht? Dafür gab es mehrere gute Gründe. Erstens war er sich nicht sicher, ob mehr Zeit seine Beziehung zu seinem Vater weniger schwierig machen würde. Zweitens würde sein Newsweek -Artikel am Küchentisch seines Vaters vermutlich nicht geschrieben werden. Drittens musste er sich um den Nachlass seiner Mutter kümmern, auch wenn die Bezeichnung »Nachlass« leicht übertrieben war. Und der vierte und fünfte Grund standen unmittelbar vor seiner Nase: Einer war ganz eindeutig erleichtert über seine Entscheidung, der andere verärgert und tat immer noch so, als sei er unsichtbar.
»Wunderbar.« Joyce legte die Hände zusammen und stützte ihr Kinn auf die Finger. »Da du schon mal hier bist, Clare, können wir ja gleich damit anfangen.«
»Mutter, ich muss jetzt wirklich los.« Dann wandte sie sich an Sebastian und fragte: »Würdest du mich hinausbegleiten?«
Auf einmal war er doch nicht mehr unsichtbar. Er war sich sicher, dass Clare irgendetwas wegen neulich Nacht auf dem Herzen hatte, dass er irgendwelche Wissenslücken für sie schließen sollte, und er erwog, sie einfach schmoren zu lassen. Doch schließlich war er zu neugierig, was sie ihn wohl fragen wollte. »Klar.« Er stieß sich vom Sideboard ab und nahm die Hände aus den Taschen, dann folgte er ihr aus dem Esszimmer. Ihre silbernen Schuhabsätze klackerten leise auf den Küchenfliesen.
Sebastian stieg als Erster die Treppe hinab und öffnete Clare galant die schwarze Tür. Sein Blick schweifte vom Blau ihrer Augen zu ihrem geschniegelten Haar. Früher hatten ihre Haare immer stinklangweilig ausgesehen. Jetzt schauten sie aus wie dunkle Seide, die dringend zerknittert werden musste. »Du siehst anders aus«, bemerkte er.
Der Ärmel ihrer Kostümjacke streifte sein T-Shirt, als sie an ihm vorbeiging. »Samstagnacht war ich nicht gerade in der besten Verfassung.«
Er lachte und schloss die Tür hinter ihnen. »Ich meinte, du siehst anders aus als früher. Als Kind hast du eine dicke Brille getragen.«
»Ach so. Ich hab mir vor acht Jahren die Augen lasern lassen.« Sie schaute verlegen auf ihre Füße, während sie unter einer alten Eiche zur Garage liefen. Eine Brise spielte mit den Blättern über ihren Köpfen, Schatten tänzelten in ihrem Haar und auf einer Gesichtshälfte. »Wie viel von dem Gespräch mit meiner Mutter hast du mit angehört?«, fragte sie, als sie vom Rasen auf die steinerne Einfahrt
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