Frisch getraut: Roman (German Edition)
mit wildfremden Frauen seinen Reiz verloren hatte, aber er glaubte, das war um dieselbe Zeit, als er in einer Bar in Tulsa eine Tussi aufgerissen hatte und sie fast Amok gelaufen wäre, als er ihr seine Handy-Nummer nicht hatte geben wollen.
Das Textverarbeitungsprogramm erschien auf dem Bildschirm, und Sebastian pfefferte das T-Shirt auf den Boden. Er sichtete seine Karteikarten und zog ein paar aus dem Stapel. Dann schob er sie in schneller Folge herum, legte ein paar beiseite, nahm sie wieder zur Hand und ordnete sie neu. Zum ersten Mal seit Monaten spürte er den Funken einer Idee im Kopf. Er studierte seine Notizen, die auf einen Schreibblock gekritzelt waren, nahm einen Bleistift und kritzelte noch mehr. Der Funke fing Feuer, und er legte die Finger auf die Tastatur. Er lockerte seine Halsmuskeln und schrieb:
Er stellt sich mir mit Smith vor, aber er könnte auch Johnson oder Williams heißen oder irgendeinen anderen typisch amerikanischen Nachnamen tragen. Er ist blond und trägt Anzug und Krawatte, als wollte er eines Tages für die Präsidentschaft kandidieren. Nur dass seine Helden nicht Roosevelt, Kennedy oder Reagan heißen. Wenn er von großen Männern spricht, meint er Tim McVeigh, Ted Kaczynski und Eric Rudolph. Einheimische Terroristen, die sich im Bodensatz des amerikanischen Unterbewusstseins abgesetzt haben, vorerst vergessen und überschattet von ihren ausländischen Pendants, bis sich die nächste Tat amerikanischer Extremisten in die Abendnachrichten sprengt und schwarze Tinte über die Zeitungen des Landes ergießt, während Blut durch die Straßen rinnt.
Alles klickte und surrte und nahm Gestalt an, und in den nächsten drei Stunden erfüllte das stete Klappern seiner Tastatur die Küche. Zwischendurch machte er eine Pause und schenkte sich Kaffee nach, und als er fertig war, fühlte er sich, als hätte ein Elefant den Fuß von seiner Brust genommen. Zufrieden lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte erleichtert. So ungern er es auch zugab, Clare hatte recht gehabt. Er hatte den Artikel an der falschen Stelle angefangen und es nicht mal gemerkt. Er war zu verkrampft gewesen. Hatte den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Hätte Clare jetzt vor ihm gestanden, hätte er ihr einen Schmatzer auf den schönen Mund gedrückt. Natürlich kam es nicht in Frage, Clare zu küssen. Egal, wohin .
Sebastian stand auf und streckte sich. Vorhin, als er sie nach ihren Recherchen fragte, hatte er sie ein bisschen ärgern wollen. Ihr ein Bein stellen und sie provozieren wollen, wie er es als Junge getan hatte. Leider war der Schuss nach hinten losgegangen. Er war jetzt fünfunddreißig, hatte die ganze Welt bereist und war mit vielen unterschiedlichen Frauen zusammen gewesen. Eine Liebesromanautorin im Kirschkleid brachte ihn nicht ins Schwitzen wie einen dummen Jungen. Schon gar nicht diese spezielle Liebesromanautorin.
Selbst wenn Clare sich zu ein paar Runden unverbindlichem, heißem Sex bereit erklärte – und das war ein großes Wenn –, würde es nie passieren. Er war hier in Boise, um eine bessere Beziehung zu seinem Vater aufzubauen. Sozusagen aus den Trümmern, und er wollte den kleinen Fortschritt, den er erzielt hatte, nicht wieder gefährden, indem er mit Clare schlief. Dabei spielte es keine Rolle, dass Joyce nicht Sebastians Arbeitgeberin war. Sie war die Chefin seines Vaters, und das machte
Clare zur Tochter der Chefin. Wenn diese vor Jahren schon wegen eines harmlosen Gesprächs über Sex ausgerastet war, wollte er sich gar nicht erst ausmalen, was alles ausrastete, wenn sie wirklich Sex hatten. Doch selbst wenn Clare nicht die Tochter der Chefin wäre, so wusste er doch instinktiv, dass sie eine Ein-Mann-Frau war. Und das Problem mit einer Ein-Mann-Frau war, dass er kein Eine-Frau-Mann war.
Sein Leben hatte sich in den letzten Jahren zwar verlangsamt, doch zwischen zwanzig und dreißig war er von einem Ort zum anderen gezogen. Sechs Monate hier, neun dort, um seinen Job von der Pike auf zu lernen, seine Kunst zu perfektionieren, sich einen Namen zu machen. Frauen zu finden, war für ihn nie ein Problem gewesen. War es immer noch nicht, obwohl er mit fünfunddreißig viel wählerischer war als mit fünfundzwanzig.
Vielleicht würde er eines Tages sogar heiraten. Wenn er dazu bereit war. Wenn ihn der Gedanke daran nicht die Hände hochreißen und vor der Vorstellung, Frau und Kinder zu haben, zurückweichen ließ. Vielleicht, weil er selbst nicht gerade in einer idealen
Weitere Kostenlose Bücher