Frisch getraut: Roman (German Edition)
passiert, worüber ich Bescheid wissen sollte?«
»Nein. Nichts ist passiert.« Nichts, worüber er mit seinem Vater reden wollte. Von dem Kuss sollte Leo definitiv nichts wissen. »Ich glaube, sie ist gestresst wegen der Party.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, meinte Leo, aber überzeugt klang er nicht.
Zwölf
Clare lief lächelnd zwischen den diversen Mitgliedern der Vereine und Wohltätigkeitsorganisationen ihrer Mutter hin und her und machte Smalltalk. Mehrere Dezibel leiser als das Stimmengewirr sang Bing Crosby gefühlvoll »The First Noel«. Für die alljährliche Weihnachtsparty hatte Clare sich einen Stechpalmenzweig in die kleine Brusttasche ihres flauschigen Angorapullis gesteckt. Der Pulli hatte Perlenknöpfe und reichte bis knapp über den Bund ihrer schwarzen Wollhose. An den Füßen trug sie rote Sandalen mit hohen Absätzen, die Haare hatte sie zu einem schlichten Pferdeschwanz mit Spange gebunden. Sie war tadellos geschminkt, und ihr roter Lippenstift passte perfekt zum Pullover. Sie sah gut aus, das wusste sie. Sinnlos, es zu leugnen. Nur schade, dass es viel schwerer zu leugnen war, dass sie sich mit dem Gedanken an einen gewissen Reporter in Schale geworfen hatte. Sie konnte sich zwar einreden, sie würde sich immer Mühe geben, so gut wie möglich auszusehen, was prinzipiell auch stimmte. Nur dass sie sonst mit ihrem Eyeliner nicht ganz so pingelig war, ihre Mascara nicht ganz so perfekt auftrug und ihre Wimpern nicht ganz so sorgfältig trennte, wenn sie an einer Party ihrer Mutter teilnahm.
Sie wusste nicht mal, warum sie sich so viel Mühe gemacht hatte. Sie mochte Sebastian nicht mal. Jedenfalls nicht besonders. Ganz bestimmt nicht so, dass sie derart pedantisch auf
ihr Äußeres achtete. Nur schade, dass sie dazu neigte zu vergessen, dass sie ihn nicht besonders mochte, sobald seine Lippen die ihren berührten. Er hatte etwas an sich, das jeden vernünftigen Gedanken dahinschmelzen ließ. Das sie innerlich erhitzte und in ihr das Verlangen weckte, sich an seine breite Brust zu schmiegen.
Vermutlich lag das weniger an Sebastian selbst als vielmehr daran, dass er ein attraktiver heterosexueller Mann war. An seiner Haut haftete Testosteron wie eine berauschende Droge, und er produzierte genügend Pheromone, um jeder Frau innerhalb von dreißig Metern eine Überdosis zu verpassen. Gegen diese starke sexuelle Ausstrahlung war sie nach der Pleite mit Lonny ganz besonders wehrlos.
Bei ihrem letzten Kuss hatte sie fest vorgehabt, ganz unnahbar und unbeteiligt dazustehen. Die beste Methode, einen Mann zu entmutigen, bestand darin, in seiner Umarmung kühl zu bleiben, doch natürlich hatte das nicht funktioniert. Wenn Leo nicht hereingeplatzt wäre, wusste sie nicht, wie weit sie es hätte kommen lassen, bevor sie Sebastian Einhalt geboten hätte.
Aber sie hätte ihm Einhalt geboten, weil sie in ihrem Leben keinen Mann brauchte. Wozu dann der rote Lippenstift und der flauschige Pulli? , fragte eine innere Stimme. Noch vor wenigen Monaten hätte sie nicht mal innegehalten, um sich die Frage zu stellen, ganz zu schweigen davon, über eine Antwort nachzudenken. Doch jetzt machte sie Smalltalk mit den Freundinnen ihrer Mutter, während sie darüber grübelte und beschloss, dass es schlicht und ergreifend Eitelkeit war, noch verstärkt durch alte Unsicherheiten aus der Kindheit. Doch es spielte sowieso keine Rolle. Sein Mietwagen parkte nicht mehr vor
der Garage. Wahrscheinlich war er schon nach Seattle zurückgeflogen, und sie hatte sich all die Mühe gemacht, nur um für einen Haufen Freundinnen ihrer Mutter gut auszusehen.
Eine Stunde nach Beginn der Weihnachtsparty musste Clare zugeben, dass es überraschend gut lief. Der Klatsch umfasste alles – von Banalitäten und missbilligenden Bemerkungen bis hin zu Ultra-Pikantem. Von der letzten Spendenaktion über das allgemein haarsträubende Niveau der jüngeren Clubmitglieder bis hin zu Lurleen Maddigans Ehemann, einem Herzchirurgen, der mit der dreißigjährigen Mary Fran Randall, der Tochter von Dr. und Mrs. Randall, durchgebrannt war. Verständlicherweise hatten sowohl Lurleen als auch Mrs. Randall die alljährliche Einladung zur Weihnachtsparty bei den Wingates ausgeschlagen.
»Seit ihrer Totaloperation war Lurleen nicht mehr richtig beieinander«, hörte Clare jemanden flüstern, als sie ein Silbertablett mit Kanapees zum Esszimmertisch trug.
Clare kannte Mrs. Maddigan schon fast ihr ganzes Leben und fand, dass Lurleen noch nie richtig
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