Frisch verliebt - Mallery, S: Frisch verliebt
meinte sie schließlich. „Seattle gefällt mir wirklich gut. Lebst du gerne hier?“
Nicole sah sie einen Moment lang scharf an. „Es ist meine Heimat. Ich habe nie irgendwo anders gelebt. Deshalb gibt es auch nicht viel, womit ich es vergleichen könnte.“
„Oh. Stimmt ja. Meine Heimat ist vermutlich New York, obwohl ich dort nicht viel Zeit verbringe. Ich habe ein Apartment dort. Es war ganz schön schwierig, etwas zu finden, in dem ein Flügel Platz hat und dann immer noch genügend Raum bleibt, dass man auch um ihn herumgehen kann. Der Umzug war ein einziger Albtraum. Fast hätte der Flügel nicht in den Lastenaufzug gepasst. Es hat Stunden gedauert. Ich glaube nicht, dass ich jemals von dort wegziehen kann. Das wäre viel zu traumatisch.“
Nicole spießte mit der Gabel ein paar grüne Bohnen auf. „Vor ein paar Jahren war ich mal in New York, zusammen mit Drew. Wir waren ein paarmal im Theater und sind einkaufen gegangen. Ich weiß nicht, ob ich in einer so großen Stadt leben wollte.“
Es wäre ziemlich rüde gewesen wäre, das Hühnchenstück einfach auszuspucken, also kaute Claire weiter. Aber der Geschmack war verloren, und als sie es dann endlich hinunterschluckte, fürchtete sie, es könnte ihr in der Kehle stecken bleiben, und sie müsste daran ersticken.
Nicole war nach New York gekommen und hatte sie nicht einmal angerufen? Claire nahm an, dass sie nicht überrascht sein durfte, aber sie war es. Sie war überrascht und verletzt und fühlte sich so allein wie nie zuvor.
„Mhm, war das bevor oder nachdem ihr geheiratet habt?“
„Vorher. So eine Art Hochzeitsvorbereitungstrip.“
„Klingt nett.“
„War es auch. Bevor ich herausfand, was für ein Arsch er ist, hatten wir wirklich viel Spaß. Männer sind doch alles Idioten.“
Aus Sympathie nickte Claire, auch wenn sie in Wahrheit gar nicht so schrecklich viel Erfahrung mit Männern besaß. Mit Sicherheit nicht genug, um ein solches Urteil zu fällen, und Wyatt wirkte eigentlich gar nicht wie ein Idiot. Abgesehen davon war sie noch mit der Tatsache beschäftigt, dass ihre Schwester nach New York gekommen war, ohne sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Logisch, denn Nicole hatte sie ja schließlich auch nicht zur Hochzeit eingeladen.
„Viele Männer schlafen sich durch die Betten, wenn wir auf Tournee sind“, wusste sie ihrer Schwester zu berichten. „Irgendwie ist es ihr Ding, und in jeder Stadt finden sie eine neue Frau. Ich hatte Glück, denn ich bin auf Tour groß geworden und konnte sie beobachten, als ich noch zu jung war, dass sie sich für mich interessiert hätten. Als ich dann älter wurde, hatte ich meine Lektion bereits gelernt. Natürlich machen es viele Frauen genauso. In Orchestern findet reichlich viel Sex statt.“
Nur nicht für mich, dachte sie verdrießlich. Sex war etwas, das sie zu meiden schien, oder von dem sie gemieden wurde. Bislang hatte sie noch nicht so ganz herausfinden können, was davon zutraf.
„Wie schön für dich“, murmelte Nicole.
„Die meisten Menschen glauben, dass Orchestermusiker irgendwie sonderlich oder langweilig sind, aber das stimmt nicht. Sie lieben Partys.“
„War es bei dir auch so?“, fragte Nicole. „Den ganzen Tag schlafen, und nachts wird gefeiert?“
„Nein. Ich musste üben, hatte Unterricht, Besprechungen und Interviews. Mit dem Partykreis hatte ich nie etwas zu tun. Allerdings wurde ich zu ein paar Prominenten-Events eingeladen. Dabei bin ich zweimal George Clooney begegnet, der sehr sympathisch ist. Und dann Richard Gere. Er kann wirklich Klavier spielen. An einem Abend haben wir sogar zusammen gespielt.“
„Wie aufregend“, sagte Nicole und funkelte sie böse an. „Es wird dich vielleicht überraschen, aber du musst mich nicht ständig daran erinnern, wie viel spannender dein Leben ist als meins. Das ist mir auch so schon völlig klar.“
„Wie bitte? Das war nicht meine Absicht.“
„War es nicht? Du lässt doch keine Gelegenheit aus, mir vorzuführen, wie toll alles bei dir läuft. Ein Apartment in New York, groß genug für einen Flügel. Mit George Clooney und Richard Gere rumhängen. Du bist ja so fantastisch.“
Claire wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte doch nur versucht, eine unangenehme Gesprächspause zu überbrücken. „Anscheinend macht es dir wirklich Spaß, immer nur das Schlimmste von mir zu denken“, sagte sie schließlich. „Ich hatte lediglich nach einem Thema gesucht, über das wir uns unterhalten könnten.
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