Frische Spur nach 70 Jahren
uns Schachner erklären. Erst befragen wir ihn, wir!, dann
kann ihn Frischy in die Mangel nehmen.“
Sie lehnten ihre Bikes an
verschiedene Büsche und gingen zur Haustür. Tim klingelte.
16.
Verlogener Enkel
Sie stritten sich. Das kam
selten vor. Oder gar nicht? Hilde Nocke konnte sich nicht entsinnen, dass sie
sich jemals mit ihrem Enkel gestritten hatte. Aber heute geschah es. Nun ja,
Klaus wurde wohl allmählich erwachsen, wurde ein Mann. Mit 25 Jahren durfte,
nein, sollte er das.
Dabei ging es nur um diese
Barbara. Denn Hilde ließ nicht mit sich reden und wiederholte ein ums andere Mal,
dass dieses ,Mensch’ — so rutschte es ihr raus — nicht der richtige Umgang für
ihn sei.
„Sie hat keinen guten Einfluss
auf dich! Seit du sie kennst, hast du dich verändert.“
„Hör mit dem Unsinn auf!“ Klaus
saß im Wohnraum in einem der Sessel und die patzigen Worte kamen unter seiner
gekrümmten Nase hervor. „Barbara ist in Ordnung. Spiel bitte nicht die
eifersüchtige Oma, die ihren Enkel nicht loslassen kann.“
„Was soll denn das heißen —
nicht loslassen? Halte ich dich fest? Wenn du willst, kannst du ausziehen.“
„Das habe ich nicht gesagt.
Aber du kannst mir nicht meine Beziehungen vorschreiben.“
„Ich habe 55 Jahre mehr
Lebenserfahrung als du. Und ich schreibe dir nichts vor. Ich gebe dir nur einen
Rat.“
„Jaja. Danke! Aber in dem Fall
brauche ich ihn nicht.“ Danach schwiegen sie sich an. Draußen im Garten war
früher Nachmittag. Hilde hatte die Einkäufe — Klaus hatte nichts vergessen,
allerdings die falsche Butter-Sorte gebracht — in der Speisekammer verstaut und
wollte eigentlich Spaghetti kochen. Doch daraus wurde nichts. Wegen des Streits
hatte sie schon dreimal den Topf mit wallendem Wasser vom Herd genommen — und
schließlich die Lust auf Spaghetti verloren, auf Mittagessen überhaupt.
„Das mit den Drogen“, sagte sie,
„meldest du aber der Polizei.“
„Was? Welche Drogen?“
„Die dem Mann aus der Tasche
gefallen sind — im Kakadu.“
„Ach so.“ Er tat
geistesabwesend. „Hätte ich fast vergessen.“
„So was vergisst man nicht. Du
meldest es der Polizei.“
„Klar, mache ich das.“
„Überhaupt finde ich’s
schrecklich, dass ihr Vater trunksüchtig ist. Solche Charakterschwächen können
sich vererben.“
„Was? Wen meinst du?“
„Deine Freundin, natürlich! Und
ihren Vater!“
Klaus Nocke unterdrückte ein
Grinsen. Barbaras Vater war vor drei Jahren am Herzinfarkt gestorben. Getrunken
hatte Harald Öhmke nie, aber geraucht wie ein Schlot.
„Ja, natürlich!“
Klaus rückte seinen Sessel
etwas herum, was Hilde nicht leiden konnte — alle Sessel hatten ihren
unverrückbaren Platz — und blickte in den Garten, durch den jetzt eine
gestromte Katze schlich. Sie hielt Ausschau nach Jungvögeln und ihre
Raufetieraugen glühten.
Klaus änderte die Tonlage, gab
seiner Stimme ein paar Tropfen Öl.
„Hattest du Besuch? Ich sah
Karl Vierstein und drei andere.“
„Das sind Karls Freunde. Sehr
nett und gescheit und agil.“
„Hübsches Mädchen, die Blonde.“
„Gaby Glockner. Ihr Vater ist
Kriminalkommissar. Ja, das ist ein Mädchen! Eine wie sie würde ich dir
wünschen. Nicht diese Barbara!“
Er hielt für ein paar Sekunden
die Luft an. Sanfter Schreck rieselte am Rückgrat herab.
„Ein Kriminalkommissar? Toll!
Was wollten die denn?“
„Mich besuchen.“
Eine dumme Antwort, dachte
Hilde. Und wieder mal drücke ich mich. Nie habe ich Klaus von Beate erzählt,
von ihren Verbrechen, ihrem Schicksal. Das war berechtigt. Solange er Kind war,
konnte ich ‘s ihm nicht zumuten — diese Tragödie in unserer Familie. Aber
jetzt?
„Einfach so?“, fragte er.
Hilde legte die Hände
aneinander, sah ihn kurz an, senkte dann den Blick.
„Ich glaube, Klaus, es ist an
der Zeit, dass ich dir etwas erzähle. Es liegt 70 Jahre zurück und betrifft —
meine Schwester.“
Er glotzte. „Du... hast eine
Schwester?“
„Ich hatte eine Schwester.
Sie hieß Beate. Sie war zwölf Jahre älter als ich. Und sie wurde 1929
hingerichtet, denn sie hatte viele Verbrechen begangen.“
Dann erzählte sie ihm alles.
Klaus hörte mit staunender
Miene zu — als wären das Neuigkeiten für ihn.
17.
Schachners Geständnis
Leo Schachner, der Einbrecher,
kam an die Haustür und öffnete. Aus der Nähe, fand Tim, sah er noch mehr wie
ein grauer Mäuserich aus, ein Mäuserich, der zwischen Einwohner-Meldeamt-Akten
sein Dasein fristet. Aber
Weitere Kostenlose Bücher