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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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Gyrosstand vorbei, wirft einen Blick auf die Fischbude (hinter dem hell erleuchteten Glastresen drischt ein missmutiger Mann mit einer kleinen Metallschaufel vor lauter Langeweile auf eine Fischfrikadelle ein – hier kauft nie jemand) und schlendert dann zur Raupenbahn.
    Das Karussell sieht genau so aus, wie sie es aus ihrer Kindheit und Jugend in Erinnerung hat. Ein runder, auf und ab gewellter Schienenkreis, darauf ringsherum aneinander gekoppelte Wagen. In der Mitte die Vorrichtung für das Verdeck, das sich während der Fahrt wie ein Schirm über die einzelnen Wagen klappt und diese für einen kurzen Moment in kleine, dunkle Separées verwandelt und den Zug von außen wie eine dicke Raupe aussehen lässt. Im Inneren des Kreises leuchtet eine Kaskade aus Glühbirnen. Um die Schienen herum führt ein breiter Steg aus Holzplanken, gesäumt von einem Geländer, an dem lässig ein paar junge Männer in Schützenuniform lehnen. Aus den Boxen, die neben dem Kassenhäuschen hängen, dröhnt Madonnas Like a virgin. Die Schützen gucken in Marlies' Richtung und fangen albern an zu lachen. Marlies hätte gerne eine Schrotflinte, um ein wenig auf sie zu ballern. Aber diesen Gedanken verwirft sie schnell wieder, sie weiß nämlich nicht, wie man so ein Gewehr bedient – und nachzufragen, das wäre ihr dann doch zu unangenehm.
    Sie geht zum Kassenhäuschen und kauft drei Fahr-Chips. Drei ist ihre Glückszahl. Sie hatte drei Meerschweinchen, die sie sehr geliebt hat, bis sie der Katze zum Opfer fielen. Dreimal hat sie schon im Lotto gewonnen (»Pech in der Liebe, Glück im Spiel«, sagt ihre Mutter immer). Drei kleine Schönheitsflecken hat sie auf der rechten Wange, dreimal war sie schon mit einem Mann verabredet (okay, es war jedes Mal enttäuschend, aber das kann man ja nicht vorher wissen) und drei Lieblings-Sleepshirts warten unter ihrem Kopfkissen (Marlies zieht sich manchmal nachts, wenn es keiner sieht, um). Und jetzt will sie dreimal Raupenbahn fahren. Mindestens.
    »Und einsteigen bitte«, tönt es aus dem Lautsprecher. Marlies steigt in den roten Wagen, weil der am besten zu ihrem Kleid passt, und setzt sich genau in die Mitte der Zweierbank, damit niemand auf die Idee kommt, zuzusteigen und sich neben sie zu quetschen. Sie will diese Fahrt allein genießen.
    »Oh Bella, dass ich dich wiedersehen darf!«, sagt der Traummann, der plötzlich auf dem Trittbrett ihres Wagens steht. Marlies strahlt vor Freude, aber in alter Tradition eher innerlich. Schnell will sie zur Seite rücken, um ihm ein wenig Platz zu machen, da setzt er ein nicht minder leidenschaftliches »Deinen Fahr-Chip bitte« hinterher. Marlies streckt ihm ihre verschwitzte Hand entgegen und reicht ihm den feucht glänzenden Chip. Er nimmt ihn, lässt ihn in die vordere Tasche seiner Jeans gleiten und geht zum nächsten Wagen.
    »Jetzt geht es gleich rrrrrrrund! Festhalten bitte, meine Damen und Herrrrrrren!« Die Stimme aus dem Lautsprecher rollt das R unnatürlich lange und schwungvoll. Die Raupenbahn setzt sich knarzend in Bewegung. Erst ganz langsam und schwerfällig, doch dann gewinnt sie an Tempo. Marlies wird von der Fliehkraft an den äußeren Rand der Sitzbank gedrückt. Ihr ananasfruchtfleischblondes, mittellanges Haar flattert im Fahrtwind. Marlies fühlt sich frei.
    Aus dem Augenwinkel sieht sie, dass sich der Ideenkreis Junger Landfrauen am Geländer postiert – gegenüber der Schützen-Gruppe. Ihre Freundinnen kann sie nicht entdecken. Dafür aber Monique. Sie wirft feurige Blicke in eine Richtung, Marlies kann nicht sehen, zu wem. Die Schützen trinken Bier und werfen missmutige Blicke in die gleiche Richtung wie Monique. Bei der nächsten Runde sieht Marlies, wem diese Blicke gelten: Rocco!
    Neee, denkt Marlies, das ist meiner. Aber sie weiß auch, dass sie gegen Monique keine Chance hat.
    »Marlen, eine von uns beiden muss jetzt gehn«, singt Marianne Rosenberg aus dem Lautsprecher, und Marlies dichtet den Text insgeheim für sich um: Monique, eine von uns beiden führt gleich Krieg. Sie stellt sich kurz vor, wie es wäre, Monique mit einem Panzer zu überrollen. Ein schöner Gedanke. Aber etwas anderes ist noch schöner: Marlies schließt die Augen, genießt den Wind auf ihrer Haut. Die Räder rattern unter ihr, die Sitzbank vibriert, das fühlt sich himmlisch an. Marlies wird ein wenig mulmig im Magen, aber das ist egal, denn sie fühlt sich frei.
    »Das geht ab wie Schmidts Katzeeeee«, jubelt die Stimme aus den Lautsprechern. »Und

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