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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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Kukident-Haftcreme aus dem Nachlass ihrer Oma verwendet hat. Aber gegen Monique hat sie wohl sowieso keine Chance. Hatte sie noch nie.
    »Und jetzt geht es wieder mal rrrrrrrrrund!«, verkündet die Stimme aus dem Lautsprecher. Die Raupenbahn setzt sich in Bewegung, die bunten Glühbirnen blinken um die Wette mit den glänzenden Augen der vereinzelten Kinder, die so spät noch auf sein dürfen, dem Make-up der Landfrauen, ihrem Modeschmuck (Tina trägt eine Tiara, angeblich echt Weißgold) und den Orden der Schützen. Die Damen halten sich so unauffällig wie möglich an ihren Sitzen fest, wohl wissend, dass es nicht gut aussieht, wenn man von der Fliehkraft wie ein nasser Schwamm an die Seitenlehne gepresst wird. Aus den Lautsprechern singen ABBA The winner takes it all. Die Frauen in der Raupenbahn versuchen, wie Gewinnerinnen auszusehen, sie werfen sich weiter in Pose (so gut das eben in einem sich schnell drehenden Karussell geht), lächeln einladend (und hoffen, dass ihnen der Fahrtwind keine Fliegen und Mücken zwischen die Zähne bläst) und warten darauf, dass Rocco zu ihnen auf den Wagen springt und sie damit zur Königin macht.
    Meiner , denkt Marlies, aber ihre Hoffnung sinkt und ihr wird ganz übel. Haarsträhnen wehen ihr in die Augen und kleben in ihren Mundwinkeln. Moniques Betonlocken dagegen sitzen wie angegossen. »I don't wanna talk«, singt Agneta – oder war es Annafrid? Genau, möchte Marlies rufen, reden will ich auch nicht. Ich will Rocco!
    Die Raupenbahn wird ein wenig langsamer, bevor sie Anlauf nimmt zu den finalen Runden. Rocco löst sich vom Kassenhäuschen, wo er die eingesammelten Chips abgegeben hat, lässt den ganzen Zug einmal an sich vorbeirollen, betrachtet jede einzelne der jungen Landfrauen, als wäre sie ein ihm serviertes Tellergericht. Dann setzt er zum Sprung an und landet –
    – auf dem Waggon von Marlies!
    »Neeee!«, kreischen die übrigen Landfrauen halb entsetzt, halb enttäuscht.
    »Öhhhhh?«, machen die Schützen verwundert.
    »Jaaaaaaa!«, brüllen Tina und Petra und hüpfen dabei auf und ab. Hanna bleibt stehen, klatscht aber voller Begeisterung in die Hände.
    Aus einem Wagen ertönt ein einzelner, spitzer Schrei wie von einer gemarterten Kreatur. Monique rauft sich die Locken. »Wie kann das sein«, ruft sie, »ausgerechnet Marlies, dieses unscheinbare Mäuschen, diese verklemmte Kuh! Die kriegt doch sonst nie einen ab!« Und ihr, Monique, liegen die Männer doch sonst zu Füßen – so soll die Welt sein, so ist sie gerecht. (Übrigens wird ihr auch ihr eigener Mann, Heiner, später zu Füßen liegen, aber nur, weil er so besoffen ist. Monique versucht den Gedanken daran zu verdrängen.)
    Marlies fühlt sich zum ersten Mal in ihrem Leben wie eine Königin. So ist es also, wenn man begehrt wird, wenn man von anderen beneidet wird. Ein erhebendes Gefühl. Jetzt weiß sie: Sie liebt Rocco! So etwas Schönes, Wundervolles hat noch kein Mann für sie getan.
    Marlies fühlt sich plötzlich ganz leicht. Nur die Haarsträhne in ihrem Mundwinkel stört sie. Wenn die jetzt einfach im Wind wehen würde, dann wäre alles perfekt. Sie löst die rechte Hand vom Sitz, will die Strähne mit einer grazilen Bewegung nach hinten streichen, bemerkt dabei nicht, dass Rocco sich zu ihr hinüberbeugt, unterschätzt außerdem die stärker werdende Fliehkraft, verliert einen Moment den Halt und versetzt Rocco – aus Versehen natürlich – einen Schubs. Nur ganz leicht, Marlies bemerkt es kaum. Aber es reicht, um Rocco aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er schwankt, greift nach vorne. Findet keinen Halt …
    … und rutscht ab!
    Rocco fällt hintenüber, sein Kopf knallt auf die Holzplanken, deren Lack schon etwas abblättert. Die Raupenbahn rollt weiter. Roccos Hosenbein hat sich im Waggon verfangen, er wird mitgeschleift. Durch die Wellenbewegung der Bahn prallt er in regelmäßigen Abständen auf, wird wieder nach oben geschleudert, bevor er erneut auf die Planken kracht. Das macht dumpf Do-Dong-Do-Dodong. Leider gar nicht passend zum Takt der Musik.
    Mit einem Ratsch löst sich Roccos Jeans schließlich aus der Verankerung und gibt den Verunglückten frei.
    Marlies, der vor Entsetzen der Mund weit offen steht, verliert Rocco aus den Augen, um ihn bei der nächsten Runde aus anderer Perspektive wieder zu sehen. Er liegt ziemlich verdreht da. Bestimmt dreimal fährt sie so an ihm vorbei, schockiert, verzweifelt, hilflos.
    Die Schützen johlen schadenfroh. Konkurrent ausgeschaltet!

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