Frischluftkur: Roman (German Edition)
unterirdischen Bunker, inzwischen Chicoree anbaut.
»Und heute? Heute prügelt sich mein Herr Sohn mit Besenstielen!« Am plötzlich wohlwollenden Tonfall erkennt Romeo, dass das kein Vorwurf, sondern ein Lob ist. »Und ich hatte schon befürchtet, dass er ein Schwächling ist. Aber nein, er hat die Familienehre verteidigt – gegen einen Kappel! Und jetzt, auf zu den Panzergrenadieren! Die zeigen dir schon, was eine Harke ist.«
Na ja, was eine Harke ist, das weiß ich schon , denkt Romeo, und was das mit der Bundeswehr zu tun hat, ist ihm auch nicht klar. Er will nur so schnell wie möglich zu Jule.
»Und morgen geht es los! Auf ins Feld! An die Geschwader!«
»Wie, morgen?«, fragt Romeo verwirrt nach.
»Ich habe das mit meinem Freund, dem Oberstleutnant Kreder, geregelt. Du darfst noch vor Beginn deiner offiziellen Dienstzeit mit ins Manöver. So eine Art Schnupperpraktikum. Tolle Sache! Da machen die einen richtigen Mann aus dir!«
»Aber ...« Das Wort kommt leise und zögerlich aus Romeos Mund.
»Nichts aber!«, fährt ihn sein Vater an. »Ich habe meine Beziehungen spielen lassen. Sei gefälligst dankbar! Da wirst du mal nicht mit Samthandschuhen angefasst!« Der Vater wirft der Mutter, die er im Verdacht hat, den gemeinsamen Sohn über zwanzig Jahre lang verhätschelt und verzärtelt zu haben, einen vorwurfsvollen Blick zu. »Und denk immer daran: Was dich nicht tötet, härtet ab!«
Tötet? , denkt Romeo entsetzt. Er sieht sich schon zwischen Panzerketten zur Unkenntlichkeit zermalmt. Dann könnte man seine Überreste aufs Brot schmieren. Er denkt an Jules Schnittchen. Und an Jule. Von ihr getrennt sein, welch unerträglicher Gedanke! Romeo leidet ein wenig still vor sich hin.
Vater Montag beißt zufrieden in sein Leberwurstbrötchen.
***
Jule drückt wütend auf die Senden-Taste ihres Mobiltelefons. Die SMS, die sie an Romeo schickt, ist scharf und knapp: Was soll der Scheiß?
Die Gedanken, die sie sich dazu gemacht hat, sind ausführlicher. Ach, was hat sie sich aufgeregt, als sie erfahren hat, dass Romeo nicht nur Tyron zusammengeschlagen, sondern auch noch seinen heißgeliebten Opel zerstört hat! Okay, Tyron mag man unsympathisch finden, aber da kann doch das unschuldige Auto nichts dafür. Und überhaupt: Wie undiplomatisch von Romeo! Er weiß doch, dass es zwischen den Familien nicht zum Besten steht. Aber vielleicht hätte man den sinnlosen Konflikt überwinden können? Das scheint jetzt aussichtslos. So ein Idiot!
Ein süßer Idiot. Ein bezaubernder Depp. Trottel, geliebter ... Ach, Jule ist viel zu verknallt, um ihm böse zu sein. Wenn er doch nur schon bei ihr wäre! Heute Abend sind sie verabredet, bei Marlies will er sie treffen, ganz allein in einer fremden Wohnung, ach, wenn es doch nur schon so weit wäre ...
Jule macht sich ein wenig an die Buchhaltung des Puderdöschens, sieht nebenbei ein paar Gerichtsshows im Fernsehen an und fühlt sich an die langen Nachmittage am Heiligabend erinnert. Da hat sie immer Wir warten aufs Christkind geguckt.
***
Ich kann dir das aller erklären , simst Romeo zurück, doch dann muss er Salat gießen, Salat kontrollieren, Salatpflücker einweisen. Ihm ist schon ganz grün vor Augen. In jeder Raupe sieht er Jule, jeden Salatkopf würde er am liebsten entblättern, so, wie er seine Geliebte enthüllen würde. Keine Ahnung, ob er sich das später trauen wird, aber der Salat ist schon mal willig.
Und dann ist es endlich so weit, es ist Abend.
Zuerst schleicht Romeo in geduckter Haltung am Wohnzimmerfenster von Marlies' Eltern vorbei, findet den Schlüssel im Geranienpott, öffnet, sieht sich im umgebauten Hühnerstall um, wundert sich nicht über den dicken Teddy, der vom Regal aus genau aufs Bett starrt, hört das leise Klopfen an der Tür und fällt vor Aufregung fast in Ohnmacht, als Jule hereinkommt. Mit einem langen Seufzer sinkt er an ihre Brust, die wie ein warmer Wackelpudding wogt.
Das Küssen klappt auch schon viel besser.
Und alles andere geht ganz von alleine.
Es gibt Momente, da denken beide unabhängig voneinander: Müsste ich mich jetzt schämen? Oder: Wenn ich das mit jemand anderem machen würde, müsste ich mich bestimmt schämen! Aber so, wie es ist, ist alles ganz selbstverständlich. Warm. Liebevoll. Kuschelig. Zart. Einfach schön.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich so glücklich sein kann«, sagt Romeo.
***
Tina, Hanna, Petra und Marlies kriechen fast in den Monitor. Sie haben sich in Tinas Wohnzimmer versammelt,
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