Frischluftkur: Roman (German Edition)
trotz des Kühlregals, in das sie ihre Hände streckt und Jogurts abstellt. So hat sie sich selbst noch nie gesehen. Sie hat doch nur hin und wieder ein wenig aufgeschrieben.
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Der Buchvertrag, der per Post eintrifft, sieht unspektakulär aus, ein schlichtes Schriftstück, in dem es um Rechte und Pflichten und Prozente und etwas geht, was Verramschen heißt. Marlies unterschreibt.
Wochen später hält sie ihr Buch in der Hand. Die Steckrübe steht auf dem Cover, und: Die intime Geschichte einer Landfrau. Darüber, statt eines Autorennamens, Seilram. Einfach nur Seilram. Marlies fährt mit dem Finger über das Buch, blättert es vorsichtig auf, bleibt an einzelnen Sätzen hängen. Das hat sie geschrieben? Sie kann sich gar nicht daran erinnern. Marlies dreht und wendet das Buch, wundert sich, dass ihre Gedanken sich plötzlich so materialisiert haben.
Aber was soll sie nun damit? Sie stellt das Buch ins Regal, nimmt es schnell wieder heraus und schiebt es unter die Matratze. Dort vergisst sie es. Ihre Matratze ist ziemlich hart und Marlies keine Prinzessin auf der Erbse. Sie vergisst es einfach, weil es ihr so unwirklich und fremd erscheint.
Marlies schreibt weiter ihre Schulhefte voll und fühlt sich gut. Zwar nicht wirklich befreit, aber besser.
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»Nein«, sagt Marlies. Ihre Stimme klingt entschlossen. Sie überlegt, ob sie noch eine Entschuldigungsfloskel dranhängen soll, wiederholt dann aber nur: »Nein.«
Hanna schaut sie verwirrt an. Was ist denn in Marlies gefahren? Sie hat sie doch nur gebeten, ihr zu helfen, die Terrakottatöpfe auf ihrer Terrasse neu zu arrangieren. Eine Knochenarbeit, zugegeben, aber Marlies hat noch nie abgelehnt.
Hanna kann sich nicht erinnern, dass Marlies ihr je widersprochen hätte. Zugegeben, Marlies sagt so gut wie nie etwas, selbst am Telefon kommt sie selten über ein genuscheltes »Hmmm« hinaus, das immer als Zustimmung gewertet werden kann. Deshalb bittet man sie ja so gerne um den einen oder anderen kleineren oder größeren Gefallen. Und jetzt gleich zweimal »nein« …?Hanna ist so perplex, dass sie nicht weiter nachbohrt und sich wortlos Tina und Petra zuwendet, die gerade die Blühpflanzentrends der Saison diskutieren.
9. Kapitel:
K.O./O.K.
Dienstag, 26. Juli
Das Schnupperpraktikum dauert deutlich länger als zu erwarten war. Gibt es so etwas wie eine Schnupperfestanstellung?
Romeo hat gelernt, wie man Stiefel putzt, den Schlafsack korrekt zusammenrollt und wie man sich fühlt, wenn man sich fast ausschließlich von Butterkeksen ernährt, die für die Ewigkeit gemacht zu sein scheinen. Schwer und schlapp. Die Sehnsucht nach Jule – und die Butterkekse – wirken sich negativ auf seine Gesichtszüge aus, seine Mundwinkel hängen herab, als übten die anderen Rekruten daran Klimmzüge. Er verzehrt sich nach ihr und musste schon reichlich Spott über sich ergehen lassen, weil die normalen Wehrpflichtigen die Muschel an seinem Hals höchst amüsant und albern finden. Romeo suhlt sich in Selbstmitleid wie die anderen sich im aufgeweichten Mutterboden des Vaterlandes und ist nur für einen kurzen Moment von seinem Schmerz erlöst, wenn er eine SMS seiner Geliebten bekommt. Ach, er kann es nicht ohne sie aushalten! Wenn er gewusst hätte, dass Liebe so ist, dann hätte er sich lieber nie darauf eingelassen. Aber nun steckt er fest, so wie der Jeep seines Vorgesetzten in der Pfütze. Romeo starrt trübsinnig in die schlammige Brühe, während er sich abmüht, wenigstens den Wagen frei zu schieben.
***
Auch Jule starrt in eine Pfütze. In eine Kaffeepfütze, die sich langsam auf den Weg zum Rand des Tisches macht, um von dort aus im Sturzflug neue Galaxien zu erkunden. Ihr Vater hat sie gerade mit seinen neuesten Plänen konfrontiert: ein Date. Für sie. Und zwar nicht irgendeines. Er hat sich darum gekümmert, dass der Sohn des Landrats seine Tochter zum Feuerwehrball begleiten wird. Das wäre ein hoch offizieller Auftritt, damit würden die beiden schon als so gut wie verlobt gelten. Ganz im Sinne von Vater Kappel und dem Landrat, die ihre eher inoffiziellen Geschäfte gerne mit verwandtschaftlichen Beziehungen absichern würden.
Jule wischt die Kaffeepfütze mit einem Küchentuch weg. Wie gern würde sie jetzt auch in den saugstarken Poren verschwinden! Stattdessen hört sie ihrem Vater zu.
»Der Ralf, der wird dich dann mit seinem neuen BMW abholen. Du wirst sehen, ihr habt einen wunderschönen Abend zusammen. Mädchen, du musst mal ausgehen, mal was
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