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Friss oder stirb

Friss oder stirb

Titel: Friss oder stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G. Arvay
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und Weise, wie sehr Tiere in so großen Herden und hohen Besatzdichten ihre naturgeschenkten Fähigkeiten verlieren. Die tosende Geräuschkulisse und die stressgeladene Stimmung der Hühner, die ich unter solchen Bedingungen kaum mehr als Individuen als vielmehr wie ein Homogenisat wahrnehmen konnte, habe ich bereits beschrieben. Ein anderes Phänomen ist mir ebenfalls in schauerlicher Erinnerung. Unter natürlichen Bedingungen bilden Hühner untereinander ein soziales System aus, das einigermaßen stabil und ausgeglichen ist und umgangssprachlich als „Hackordnung“ bezeichnet wird. Es gibt dann eine klare Rangstruktur, die sich die Hühner irgendwann untereinander ausmachen. Diese kann sich zwar ändern, wenn höhere Ränge neu erkämpft werden, sie ist aber zu jedem Zeitpunkt, zu dem man sie messen würde, in einem Gleichgewicht. Genau dieses Gleichgewicht sucht man in großen Hühneranlagen vergeblich. Besonders eindringlich kann ich das an einem konkreten Beispiel illustrieren, wozu ich noch einmal auf einen Produktionsstandort für die deutsche Heidegold GmbH zurückkomme. Ich habe bereits erwähnt, dass die Tiere in diesem Betrieb unter Federnkannibalismus litten, der unter anderem als Hinweis darauf gilt, dass die soziale Struktur durcheinandergeraten ist. Dann fiel mir etwas Merkwürdiges auf: In der oberen Etage hockten verstört die ganz besonders nackten und kranken Tiere, während sich auf dem Boden zahlreiche Hühner tummelten, die verhältnismäßig etwas weniger zerrupft waren. Man muss also davon ausgehen, dass die Tiere, die weiter oben saßen, bereits häufiger Opfer von Attacken durch ihre Artgenossen geworden waren, als so manche Henne, die weiter unten saß. Was irritierte mich so sehr daran?
    Es war der Umstand, dass dies eigentlich völlig verdreht war. Hätte eine „ordentliche“ Hackordnung vorgeherrscht, hätten die verhältnismäßig weniger oft attackierten Vögel die erhöhten Sitzpositionen innehaben müssen und nicht umgekehrt. Ich machte den Standortleiter darauf aufmerksam. Er blickte sich um. Dann stimmte er mir zu, dass die „Sitzordnung“ ungewöhnlich war.
    „Offenbar ist diese Herde völlig durcheinandergeraten und die Hackordnung funktioniert überhaupt nicht mehr“, sagte ich.
    „Ja, das scheint tatsächlich so zu sein“, bekam ich zur Antwort. Der Hühnerhalter wollte die Ursachen für die Probleme aber nicht in der Haltungsform an sich gefunden haben, sondern verwies auf den Aufzuchtbetrieb, von dem er die Junghennen erhalten hatte: „Ich bin über den Tisch gezogen worden. Man hat mir eine schlechte Herde angedreht.“
    „Hier haben Sie meinen Schlüssel“
    Niedersachsen, 21. September 2012. Ich war zu Gast bei Carsten Bauck, einem Biolandwirt mit einer großen Erzeugungspalette wie Getreide und Feldgemüse, Rind- und Schweinefleisch, Puten- und Hähnchenfleisch sowie den daraus in eigener Weiterverarbeitung hergestellten Produkten. Ich erreichte den Hof morgens um 9 Uhr. Biobauer Bauck hatte an diesem Tag wenig Zeit, sicherte mir aber ein Interview für Nachmittag zu. Er griff in seine Jackentasche und zog einen Schlüssel heraus. „Das ist der Zentralschlüssel. Mit dem kommen Sie in alle unsere Geflügelställe hinein.“ Er streckte mir den Schlüssel entgegen. „Sie können sich frei bewegen und umsehen, dürfen jedes Stallgebäude betreten, das Sie von innen sehen möchten.“ Ich war überrascht, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Ich erzählte von meinen Erfahrungen am Fürstenhof, wo mir der Geschäftsführer seinen Schlagstock vorgeführt hatte. Carsten Bauck lachte: „Ich nehme an, wenn man etwas zu verbergen hat, dann muss man sich so verhalten“, kommentierte er meinen Bericht. Ich nahm den Schlüssel entgegen und ließ mir erklären, wie ich die Standorte in der Umgebung finden würde.
    Carsten Baucks Hof wird seit 1932 als biologischer Betrieb geführt und ist vom Bioverband Demeter zertifiziert. Kein einziges seiner Produkte landet in den Regalen von Supermärkten oder Discountern. Da Herr Bauck, der ab Hof sowie über Bioläden vermarktet, nicht dem Zwang zum Wachsen oder Weichen unterliegt, mit dem Supermarktproduzenten zu kämpfen haben, kann er gänzlich anders arbeiten als diese.
    Auf seinem Betriebsstandort in Klein Süstedt, nicht weit von Lüneburg, leben Bio-Legehennen, Bio-Masthühner und Bio-Mastputen. Diese sind in mobilen Ställen mit jeweils nur einer einzigen Einheit mit einigen hundert Tieren untergebracht. Die

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