Friss oder stirb
Bio-Pionierinnen und Bio-Pioniere.
Die meisten Bio-Verbände betrachten die industrialisierte Produktionskette auch in der Tierhaltung als Gegebenheit der „modernen Landwirtschaft“. So schreibt beispielsweise der österreichische Verband Bio Austria auf der verbandseigenen Homepage: „Bio Austria bekennt sich zu einer modernen Bio-Landwirtschaft, die als Leitbild für eine Agrarkultur der Zukunft stehen kann.“ [15] Wie die meisten Verbände, erlaubt auch Bio Austria die Fließbandproduktion von Küken, den Einsatz von Hochleistungszüchtungen und die industrielle Geflügelschlachtung.
Es gibt derzeit keinen Bio-Verband im deutschen Sprachraum, der diese industrielle Praxis im Bio-Bereich konsequent ablehnt. Keine dieser Organisationen unterbindet beispielsweise Kükenfließbänder, maschinelle Kükenvernichtung im hämmernden Akkord oder agrarindustrielle Designerhühner – nicht einmal der Demeter-Verband oder der Bioland-Verband. Und da wie dort werden die Stalleinheiten mit 3.000 Hennen scheinbar als „Notwendigkeit des Marktes“ betrachtet und akzeptiert.
Auch die Kontrolleure haben keine Handhabe: Alle in diesem Buch geschilderten Produktionsumstände im Bio-Bereich sind völlig konform mit den Richtlinien der EU. Auch Federnkannibalismus ist – selbstredend – im Bio-Bereich nicht „verboten“. Wenigstens aber kann festgehalten werden, dass Kannibalismus als Symptom der intensiven (Bio-)Tierhaltung nicht die Regel darstellt.
Hinzu kommt, dass wir es in Deutschland ebenso wie in Österreich mit einem privatwirtschaftlichen Zertifizierungsmarkt zu tun haben. Die Bio-Zertifizierungsunternehmen stehen miteinander in Konkurrenz und die Betriebe, die sie kontrollieren, sind ihre „Kunden“. Produktionsbetriebe können ihre Zertifizierungsstelle wechseln und sich auf dem freien Markt für das eine oder das andere Unternehmen entscheiden. Unangemeldete Kontrollen finden in der Praxis aus organisatorischen Gründen selten statt und häufig sind Bio-Kontrolleurinnen und -Kontrolleure darauf angewiesen, Warenflüsse oder beispielsweise den Einkauf von Betriebsmitteln oder des Tierbestandes lediglich auf dem Papier zu kontrollieren – sie sehen sich dann also die Aufzeichnungen der Betriebe an. Bei Größen von vielen Tausenden von Tieren kann kein Kontrolleur Hühner zählen.
Die „KellyBronze-Pute“ – eine „robuste Rasse“?
Auch eine Hybridpute der Firma KellyBronze in England wird uns als „robuste Landrasse“ verhökert. Bei Ja!Natürlich aus dem Hause REWE in Österreich wirbt man mit ihr. In einem „Informationsbeitrag“ des Konzerns auf YouTube heißt es gleich zu Beginn: „Bio-Freilandputen, zum Beispiel der Rasse Kelly, lieben die freie Natur.“ Bereits in diesem einen Satz stimmen zwei Dinge nicht. Bei der schwarz gefiederten Pute, die gemeint ist, handelt es sich zunächst einmal um keine Rasse, sondern um eine Hybridzüchtung für den britischen Markt für Weihnachtstruthähne. Diese erreichen geringere Schlachtgewichte, da die Vögel zum Verkauf im Ganzen gedacht sind. Herkömmliche Hybriden hingegen setzen etwa 35 Prozent Brustfleisch an, das zu Filets verarbeitet wird. Der zweite Fehler in der Behauptung von Ja!Natürlich liegt in der Namensgebung der angeblichen „Rasse“, die ja keine ist. „Kelly“ (eigentlich: „KellyBronze“) ist nämlich der Name der Zuchtfirma und nicht der Pute. Außerdem halten sich auch diese Tiere mehrheitlich im Stall auf und mit dem Auslauf gibt es ähnliche Probleme wie bei Hühnern, wovon ich mich während meiner Streifzüge durch die Geflügelbranche vielfach überzeugen konnte.
Ich war vor Ort und sah mir die Herkunft der Hybridputen von KellyBronze in England an. [ Abb. 11 ] „Eigentlich sollte man gar nicht von der KellyBronze-Pute sprechen“, erklärte mir der Produktionsleiter. „Denn diese Bezeichnung ist von uns für das Endprodukt, also für den geschlachteten und vermarkteten Weihnachtstruthahn vorgesehen und wird üblicherweise nur geführt, wenn die Vögel in unser Qualitätsmanagementsystem eingebunden sind.“ Wir begaben uns in die hauseigene Brutfabrik, in der die Küken auf Fließbändern zur Welt kommen und automatisch sortiert werden. Fassungsvermögen der Fabrik: 600.000 Puteneier. Wöchentliche „Produktion“: 150.000 Putenküken. Ein Teil der Tiere wird an Vertragsmäster in Großbritannien ausgeliefert, der Rest ist Nachschub für die Anlagen der Firma, in denen die Hybridputen gezüchtet und vermehrt
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