Friss oder stirb
sein!“
Konsumentinnen und Konsumenten nehmen Putenfleisch als besonders gesund und ökologisch wertvoll wahr. Tatsächlich hingegen kommen derzeit selbst in der biologischen Großproduktion bei Puten ausschließlich konventionelle Eintagsküken aus nicht-biologischer Herkunft zum Einsatz – stets Hybriden – und auch Bio-Putenhalter müssen immer wieder Antibiotika einsetzen.
„Big 6“ und Antibiotika –
was steckt im Bio-Putenfleisch?
Ein eklatanter Verstoß gegen die Grundprinzipien der Pioniere der ökologischen Landwirtschaft ist die Tatsache, dass in Europa in der biologischen Putenmast vorwiegend Hybridputen des Typs Big 6 eingesetzt werden, was auch die EU-Richtlinien nicht verbieten. Dabei handelt es sich um Hochleistungszüchtungen der Firma Aviagen , die zur PHW-Gruppe Lohmann und Co. AG zählt. Die Tiere werden auch unter dem Namen „B.U.T. 6“ geführt. Im Laufe ihres Wachstums entwickeln die weißen Vögel körperliche Degenerationserscheinungen und können am Ende kaum mehr aufrecht stehen oder laufen, da sie in hohem Maß auf den Ansatz von Brustfleisch gezüchtet sind. Noch dazu werden sie – auch im Biobereich – fast immer gänzlich ohne, manchmal auch mit fünf Prozent Hähnen gehalten, die bereits am Tag ihrer Geburt auf dem Fließband vernichtet werden.
Die Abbildung 14 zeigt Big-6-Puten, die nach den EU-Richtlinien für biologische Landwirtschaft heranwachsen. Das Foto wurde von mir auf dem Geflügelhof Tiemann in Niedersachsen aufgenommen. Zum Tiemann-Imperium gehören mehrere konventionelle sowie biologische Handels-Labels für Eier und Geflügelfleisch, wie beispielsweise BIO-FINO (Fleisch) und Wiesengold (Eier). Allein bei Bio-Masthähnchen werden dort jede Woche 30.000 bis 40.000 Tiere industriell geschlachtet.
Das biologische Putenfleisch aus dem Hause Tiemann wird unter anderem an die Firma HIPP Babynahrung , einen der Hauptabnehmer für Tiemannsches Bio-Geflügelfleisch, abgegeben. Weitere Handelspartner sind EDEKA, REWE, TEGUT, TENGELMANN und DENREE. „Die Mehrzahl unserer Putenherden werden mit Antibiotika behandelt“, erklärte mir Tiemann Junior. Der Betrieb ist durch den Bioverband Naturland zertifiziert. [17]
III. Lost in the Supermarket
„Solange wir in den Supermarkt gehen,
haben wir keine Hoffnung.“
(Ben Gable, Pflanzengenetiker in Großbritannien)
Im deutschen Lebensmittelhandel werden nur etwa vier Prozent des Umsatzes mit Bio-Produkten gemacht [18] , in der Schweiz sind es 4,2 Prozent [19] . Österreich hat den Ruf, eines der führenden „Bio-Länder“ in Europa zu sein. Der Umsatzanteil für Lebensmittel, die nach den Richtlinien des biologischen Landbaus produziert werden, beträgt dort allerdings nicht mehr als 6 Prozent [20] . Führende Supermarktketten im Lande bringen es auf etwa denselben Anteil, was umgekehrt bedeutet, dass in Österreichs Supermarktfilialen mindestens 94 Prozent des Umsatzes – also fast alles – mit konventionellen, das heißt nicht-biologischen Waren gemacht wird.
Im Frühjahr 2012 veranstaltete das Wiener Magazin Bestseller , eine Zeitschrift für Marketing, Werbung und Medien, eine Konfrontation zwischen dem damaligen Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria Marketing GmbH (AMA), Dr. Stephan Mikinovic, und mir. In unserem Gespräch behauptete Mikinovic einen Anteil für biologische Lebensmittel von etwa 20 Prozent in Österreich. Es handelte sich meiner Ansicht nach um einen statistischen Taschenspielertrick, den AMA-Vertreter auch in der Öffentlichkeit immer wieder ausspielen, um den Mythos vom „Ökoland“ Österreich aufrechtzuerhalten. Tatsächlich beträgt nämlich lediglich der Anteil von Bio-Eiern hierzulande 20 Prozent, gemessen am Gesamtumsatz mit Eiern. Biologische Eier müssen aber nicht nur zur Imageaufbesserung der Agrarstatistik Österreichs herhalten, sondern stellen neben Milchprodukten auch jene Produktgruppe dar, für die Lebensmittelkonzerne besonders häufig und plakativ die Werbetrommel rühren. Aus diesem Grund war die biologische Eier- und Geflügelindustrie ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt in meinen Recherchen. Sie ist nicht nur wirtschaftlich von besonderer Bedeutung, sondern eignet sich auch vorzüglich dazu, einen Überblick der Prinzipien und Kräfte zu verschaffen, die auf dem Bio-Massenmarkt herrschen – auch bei anderen Produktgruppen.
Die Wirtschaftsweisen von Lebensmittelindustrie und -handel führen zu folgenden Rahmenbedingungen, die sowohl in der konventionellen als auch
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