Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
groß und hager und trug einen zerknautschten Hut. Seine leicht aus den Höhlen hervorquellenden Augen machten ihn melancholisch. Er hatte ein Lippenbärtchen unter einer starken Nase. Bestimmt tanzte er Tango. Das schwarze Haar war glatt gekämmt mit Scheitel und glänzte. Die Hautfarbe war gelblich, als hätte er ein chronisches Magenproblem. Vielleicht wirkte er deshalb melancholisch. Er stand nur herum und machte gar nichts. Er rauchte. Das merkte ich erst, als er die Hand mit der Zigarette an seine Lippen hob und zog. Die beiden waren ganz real am späten Nachmittag in meiner Wohnung und stammten nicht zufällig aus einem Hollywoodstreifen der 30er Jahre, der in der Glotze flimmerte. Der Melancholiker tanzte auch nicht Tango in seinem abgewetzten Nadelstreifenanzug. Er stand rum und rauchte. Ich beschloss, abzuwarten, was passierte. Zunächst passierte gar nichts. Dann entdeckte der Dicke den Aktenkoffer und den Monteurskoffer. Ich war heilfroh, dass ich den gelben Lederkoffer mit den Waffen bei Jean deponiert hatte. Der Dicke nahm den Monteurskoffer.
»Da, nimm«, sagte er zu dem Melancholiker. Der rührte sich nicht. Der Dicke stellte den Koffer neben ihn. Er schien zu wissen, um was für einen Koffer es sich handelte. Er kümmerte sich nicht weiter darum. Wahrscheinlich war er seinetwegen hier und wegen der platt gekloppten Nase des blonden Frohmenschen. Aber das war bestimmt nicht alles. Ich war gespannt, was noch kam. Der Dicke stellte den Aktenkoffer auf meine spätgotische Truhe. Das gab bestimmt Kratzer im Lack. Das machte mich wütend. Dann öffnete er den Aktenkoffer. Dabei kratzte der Koffer auf dem Lack hin und her, weil der Dicke zu dämlich war, die Schlösser gleichzeitig aufzudrücken.
»Der Lack, Sie Blödmann«, zischte ich. Der Dicke reagierte gar nicht. Er öffnete den Aktenkoffer und guckte auf die Dokumente.
»Die können Sie gar nicht haben«, sagte er mit einer Fistelstimme. » d as ist ungesetzlich. Sie machen sich strafbar. Die nehmen wir mit. Sie nehmen wir auch mit.« Er schloss den Aktenkoffer und zog ihn über den Lack. Das machte er extra. Den Aktenkoffer stellte er ebenfalls neben den Melancholiker, der seine Zigarettenasche auf einen Kilim schnippte, den ich gerade für 3.000 Euro hatte reparieren lassen. Motten hatten sich über ihn hergemacht und faustgroße Löcher in ihn gefressen. Ich brachte es nicht über das Herz, ihn wegzuschmeißen. Ich hing an dem Teppich. Mir reichte es. Ich zog den Haustürschlüssel aus der Hosentasche und verriegelte das Sicherheitsschloss. Dann warf ich den Schlüssel aus dem offenen Fenster in den Garten. Das ging sehr schnell und überraschte die beiden. Die verriegelte Tür war massiv aus Eiche und sehr stabil. Dann rief ich mit dem Handy bei der Polizei an.
»Kommen Sie. Schnell. Ich werde gerade von zwei Verbrechern in meiner Wohnung überfallen. Sie sind bewaffnet. Es ist kein Scherz. Ein Wohnungsschlüssel liegt in der Weinhandlung Bruderhertz. Bitte beeilen Sie sich. Ich habe mich verbarrikadiert.«
Ich keuchte in Windeseile meine Adresse in das Handy und brach den Notruf mit einem gurgelnden Schrei abrupt ab. Ich klang überzeugend. Die beiden Gestalten hatten damit nicht gerechnet. Der Dicke rüttelte an der Tür.
»Die hält«, sagte ich. Der Dicke zog eine Pistole und bedrohte mich. Dabei kaute er wie wild auf den Fingernägeln seiner freien Hand herum. Die Finger waren kauwund.
»Sie können ja in den Garten springen«, sagte ich. »Es sind nur wenige Meter.«
Der Melancholiker musste bei der Vorstellung grinsen. »Weisen Sie sich erst mal aus«, sagte ich. Statt einer Antwort raste der Dicke an ein Fenster und guckte in den Garten, dann rechts und links, ob da nicht ein Blitzableiter wäre oder eine Regenrinne. Da war nichts. Da war nur glatte Wand. Der Dicke hielt mir die Pistole auf den Bauch.
»Sie haben bestimmt noch einen Ersatzschlüssel.«
»Unten beim Weinhändler. Der holt gerade die Polizei.«
»Ich schieße das Schloss auf«, meinte der Dicke.
»Bist du bekloppt?«, fragte der Melancholiker mit einer tiefen Stimme, die über eine Blechraspel schrappte.
»Was denn sonst?«, japste der Dicke.
»Abwarten«, sagte der Melancholiker und schnippte die Zigarettenkippe aus dem Fenster.
Ich kochte einen Kaffee. Ich hatte wunderbaren äthio-pischen Wildkaffee, den ich grob mahlte und in einer French-Pressing-Maschine zubereitete. Dazu Kandis und Sahne. Ich bot dem Melancholiker eine Tasse an. Der nahm sie artig
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