Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
weiter die Treppen hoch. Ich ging an meiner Wohnung vorbei. Das Haus hatte fünf Stockwerke. Im 5. Stock erreichte ich sie. Es waren zwei Männer, die ziemlich bieder aussahen und an jeden Biertresen gepasst hätten. Ihre Bäuche quollen aus der Hose. Die Gürtel waren zu eng geschnallt. Sie waren Anfang 40 und hatten die Röte einer durchzechten Nacht im Gesicht. Der Dickere von ihnen trug einen eckigen Lederkoffer, wie ihn Fernmeldemonteure haben.
»Bisschen bei mir rumgeschnüffelt?«, fragte ich. »Ein paar Wanzen untergebracht?« Die beiden sagten nichts. Sie glotzten mich an wie Menschen einen in der S-Bahn oder an einer Bushaltestelle anguckten. Kurzer, unbeteiligter Blick, um schnell wieder die Augen abzuwenden. Wann der Bus bloß kommt? Bus kommt bestimmt gleich. Wenn nur dieser Fahrgast da nicht stünde, der da vor uns gar nicht stehen durfte. Der hatte doch Busfahrverbot. Chronischer Schwarzfahrer. Ein chronischer Busankommverhinderer, der uns den Zutritt zum Bus versperrt. Der hatte doch an jeder Haltestelle Platzverbot.
Von unten kam ein Stöhnen. Mein Gott, wahrscheinlich war der Busfahrer verunglückt. Das hat der Schwarzfahrer angestellt! Die beiden Kumpels schauten sich an. Das war mein Augenblick. Ich riss dem Dickeren den eckigen Lederkoffer aus der Hand und stürmte die Treppe runter. In Windeseile sperrte ich die Türe auf. Das Sicherheitsschloss war nicht abgesperrt. Dafür hatten die Kumpels keine Zeit mehr. Ich trat ein und schlug die Türe hinter mir zu. Ich verschnaufte. Mein Herz schlug. Kurz darauf hörte ich die beiden die Treppe runterlaufen. Sie hatten es ziemlich eilig. Dann bekam ich den typischen Lachanfall, den ich immer bekam, wenn ich jemandem die Nase platt gehauen hatte. Das alles hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die Beteiligten waren Komiker aus einer anderen Welt. Das Lachen wurde flacher. Mir liefen die Tränen runter. Ich lachte gerne. Jetzt hatte ich schon drei Koffer. Den gelben Lederkoffer, den Aktenkoffer und den Monteurskoffer. Das Handy klingelte.
»Ja?« Es war Claus.
»Fritz, da liefen eben drei Kerle aus deinem Haus. Einer blutete wie eine abgestochene Sau. Die beiden anderen stützten ihn. Weißt du, was da los war?«
»Keine Ahnung.«
»Der wollte eben noch Wein bei mir kaufen.«
»Kannste mal sehen. Kein Verlass.«
»Dem muss einer ganz schön eine getunkt haben. Der ist doch mit dir rein?«
»Ich bin in meiner Wohnung.«
»Hab einen schönen Wein. Interessant.«
»Werde ich mir anschauen.«
»Tschüüüüss.«
Ich öffnete den Monteurskoffer und fand das Messgerät, das ich suchte. Man konnte damit Wanzen aufspüren. Es war eine ganze Wanzenkolonie, die sie bei mir untergebracht hatten.
Als wäre meine Wohnung eine Karawanserei, in der die durchziehenden Karawanen alle abgehört werden mussten. Wer wohl hatte so plötzlich ein so intensives und aufwendiges Interesse an mir? Die letzte Wanze fand ich hinter der Halterung für das Klopapier. Ich las auf dem Klo höchstens die Zeitung und führte keine Telefonate. Ich saß stumm wie ein Fisch auf der Schüssel. Nur die Rolle der Halterung ratterte wie ein Rasenmäher.
In den Gelben Seiten fand ich die Telefonnummer der Praxis von Frau Dr. Vogelweide. Sie war Psychiaterin. Sie hatte bis 18 Uhr geöffnet. So spät war es noch nicht. Ich rief an. Eine Assistentin meldete sich.
»Hier Neuhaus. Könnte ich Frau Dr. Vogelweide sprechen?«
»Frau Doktor ist im Moment sehr beschäftigt.«
»Es ist dringend. Es geht um Martha Klein.«
»Oh«, sagte die Assistentin. Der Name Martha Klein wirkte wie ein Generalschlüssel. »Moment, ich verbinde«, sagte sie.
»Hier Vogelweide«, meldete sich eine dunkle, ruhige Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Neuhaus. Ich suche Martha Klein. Ich habe einen Koffer voll mit Gutachten, die Sie über Flüchtlinge angefertigt haben. Auf den Gutachten steht Ihre Praxisnummer. Und ich habe Gefälligkeitsgutachten von Frau Klein. Und vieles mehr. Niemand beim Polizeiärztlichen Dienst will Frau Klein kennen. Ich finde das seltsam. Ein Mädchen, das ich beim Polizeiärztlichen Dienst traf, es arbeitet dort ehrenamtlich als Dolmetscherin, sagte mir, Sie wüssten mehr.«
Die Ärztin schien nachzudenken. »Haben Sie morgen Abend Zeit?«, fragte sie dann.
»Ja, natürlich«, sagte ich, erleichtert darüber, dass sie mir keine Abfuhr erteilte.
»Wo können wir uns treffen? Um acht?«
»Im ›Dollinger‹ am Stutti?«
»Sehr gut. Das kenne ich. Ich
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