Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
Vom Netzwerk:
komme mit dem Fahrrad. Um acht im ›Dollinger‹.«
    Dann legte sie auf. Es pochte an meine Wohnungstür. Wahrscheinlich war es Frau Kling vom 1. Stock.
    »Sie mögen doch Gurkensalat mit meinen selbst eingelegten Heringen,« stellte Frau Kling mehr fest, als sie fragte und reichte mir wenigstens einmal die Woche zwei Schüsselchen. In einem Schüsselchen schwammen die Heringe in einer Wahnsinnssoße. Sie rührte die Milcher und die Rogen der Heringe durch ein Haarsieb. Dazu gab sie fein geschnittene, eingelegte Gürkchen, jede Menge gehackten Dill, Zwiebelringe und eine Prise gebratenen Schwarzwälder Kräuterspecks. Im anderen Schüsselchen war Gurkensalat in einem Milchsud, dessen aromatische Geheimnisse ich noch nicht entschlüsseln konnte. Angesichts der beiden Schüsselchen bekam ich immer weiche Knie.
    »Sie beglücken mich, Frau Kling«, sagte ich, sie strahlte wie ein Pfannkuchen, »über mir geht die Sonne auf«, jetzt drohte sie vor Strahlen zu zerfließen. Einmal hatte ich sie in meine Wohnung gebeten. Sie könnte mir jeden Tag etwas bringen, erzählte sie, sie koche so gerne. Jeden Tag kochte sie. Für ihren Mann. Ihr Mann war vor drei Jahren gestorben. Sie hatte 40 Jahre für ihn gekocht.
    »Essen Sie doch«, forderte sie mich auf. Mehrmals forderte sie mich auf.
    »Ich wollte mir noch Bratkartoffeln machen«, sagte ich.
    »Wie mein Mann«, antwortete sie. »Wo sind die Kartoffeln? Ich mache Ihnen welche.« Sie war nicht zu bremsen. Sie kochte, schälte die Kartoffeln, schnitt sie in Scheiben, legte jede Scheibe einzeln in die Pfanne. »Man darf sie nicht zu weich kochen und in der Pfanne nicht häufeln«, erklärte sie. »Scheibe neben Scheibe. Sonst werden sie nicht goldgelb und knusprig wie Weihnachtsplätzchen. Wir wollen ja Bratkartoffeln und keinen gebratenen Kartoffelhack.« Sie lachte laut. Dann servierte sie mir die Bratkartoffeln und die eingelegten Heringe mit dem Gurkensalat. Sie setzte sich, als ich anfing zu essen, an das andere Ende des Tisches und schaute mir aufmerksam beim Essen zu. Nach einer Weile der Betrachtung sagte sie:
    »Mein Mann hat erst eine Bratkartoffel aufgespießt, dann ein Stück vom Hering draufgeschoben, mit dem Messer, und das alles in den Gurkensalat getunkt. Das aß er, und sofort einen Esslöffel vom Gurkensalat hinterher. Sie haben ja noch gar keinen Esslöffel!« Sie kramte in der Küchentischschublade, als wäre sie jeden Tag in meiner Küche, holte einen Esslöffel aus der Schublade und reichte ihn mir. »Sonst geht ja der gute Sud verloren. Der rundet das alles ab.« Ich tat, wie sie es mir sagte. »So schmeckte es meinem Mann am besten, wie Sie das jetzt machen.« Wenn ich von den Essgewohnheiten ihres Mannes abwich, wurde ich sofort energisch korrigiert. Ich musste alles bis auf das letzte Futzelchen in der Manier ihres Mannes vertilgen.
    »Mein Karl war hinterher immer plumpssatt.« Ich war plumpssatt. Sie ging hoch befriedigt. Ihren Heringen konnte ich auch künftig nicht widerstehen, aber in meine Wohnung ließ ich sie nie wieder. Ich war kein kauender Karl und wollte ihn auch nicht ersetzen. Ich schenkte ihr dafür ihre Lieblingspralinen.
    »Meine Lieblingspralinen! Woher wissen Sie das bloß, Herr Neuhaus?«, fragte sie schamrot wie ein kleines Mädchen. Ich wusste gar nichts. Es war der reine Zufall, der mir ihre Lieblingspralinen zugespielt hatte.
    Die beiden Gestalten vor meiner Wohnungstür hatte mir kein Zufall zugespielt. Sie hatten auch keine Ähnlichkeit mit den von Frau Kling durch ein Haarsieb gerührten Heringsrogen. Sie sahen heruntergekommen aus. Für Bettler und Hausierer verboten, wollte ich sagen. Dazu kam ich aber nicht. Sie drückten mich wortlos beiseite und betraten meine Wohnung. Einer von den beiden kaute Kaugummi. Er hatte einen ziemlich kurzen, breiten Hals, der eigentlich nur aus Kehlkopf bestand, der sich im Rhythmus des Kauens bewegte. Flinke Schweinsäuglein in einem runden Feistgesicht suchten, was sie noch nicht fanden. Ein reichlich abgetragener dunkler Anzug umhüllte die stämmige Figur des Mannes, der sofort meine Wohnung inspizierte. Beim Gehen schien er zu rollen. Der Eindruck entstand, weil die Anzugsjacke fast bis zu den Knien reichte. Er hatte einen zu langen Oberkörper und viel zu kurze Beine. Er schien aus zwei verschiedenen Körpern zusammengesetzt zu sein. Der Oberkörper eines Riesen auf dem Fahrgestell eines Liliputaners. Er hatte einen gemeinen Gesichtsausdruck, der mich sofort reizte. Der andere war

Weitere Kostenlose Bücher