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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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im Sessel von Nemec gesessen. Ich habe es Corinne schon erzählt. Er hat mir den Bericht gegeben. Er ist dann gegangen, ohne sich zu verabschieden.«
    »Soll ich?«, fragte Frau Quack.
    Wir nickten zustimmend.
    »Also. Das Flüchtlingslager Schlabbach beherbergt über 1.000 Flüchtlinge. Die genaue Zahl ist unbekannt. Wir im Flüchtlingsrat vermuten, dass die Ausländerbehörde die genaue Zahl nicht kennt. Aber nicht nur das deutet auf einen Zustand zunehmender Verwahrlosung hin. Das Lager ist im Verfall begriffen. Strukturen werden aufgelöst. Das Lager war nie ein Ort der Freude. Es wurde immer schikaniert. Aber in den letzten beiden Monaten hat es sich in ein Straflager verwandelt mit allen entsprechenden Merkmalen von Willkür. Man will die Menschen weich kochen. Sie systematisch mürbe machen. Das beginnt bei Äußerlichkeiten. Jedes zweite Wochenende gibt es in den Duschbädern kein Wasser. Ohne Begründung werden drei Tage lang, Freitagabend, Samstag und Sonntag, die Duschen gesperrt. Die Menschen verwahrlosen. Das Gas für die Küchen wird immer wieder ohne Ankündigung abgestellt. Oder der Strom fällt aus. Seit dem Tod von Nemec gibt es keine medizinische Betreuung mehr im Lager. Aber das ist nicht das Schlimmste. Die Menschen werden systematisch gebrochen und ausgebeutet. Das Ganze folgt einem perfiden Plan. Es gibt eine neu eingerichtete Zentralstelle, die das alles steuert. Wir kennen sie nicht. Alle Behörden wie die Ausländerbehörde, die direkt im Lager untergebracht ist, oder das Standesamt, sogar die Krankenkassen spielen mit. Es gibt ein verzweigtes Netz, das anscheinend ganz legal operiert und sich bereichert. Ich habe hier eine Dokumentation von 28 jungen Frauen aus den letzten 18 Monaten, die im Lager lebten, da teilweise aufgewachsen sind, von denen wir wissen, dass sie zwangsverheiratet wurden. Die Standesämter finden das alles legal. Die heiratswilligen Männer kamen alle nicht aus dem Lager. Sie galten als gut integrierte Männer mit einem deutschen Pass. Es waren auch Franzosen darunter, Luxemburger und Belgier. Die Eltern der Mädchen haben von der Heirat ihrer Töchter enorm profitiert. Sie bekamen ein Aufenthaltsrecht oder genügend Geld, sich in ihrer Heimat eine Existenz aufbauen zu können. Die Söhne konnten endlich eine Ausbildung machen und einen Beruf erlernen. Die Väter konnten arbeiten gehen. Sie konnten das Lager verlassen. Wir sind sicher, dass Geld an die Ausländerbehörde floss. Für all das wurden die Töchter geopfert. Wir haben versucht, zu diesen achtundzwanzig Mädchen den Kontakt zu halten. Das ist uns nicht gelungen. Einige landeten in Bordellen. Andere sind ganz verschwunden. In vier Fällen wissen wir, dass die verheirateten Mädchen Organe für ihre Männer spenden mussten. Nach der Operation verschwanden die Frauen. Wir vermuten, dass sie in ihre Heimatländer verschleppt wurden. Wir hoffen, dass sie noch leben. Wir wissen es nicht.
    Die Operationen wurden alle von dem Schönheitschirurgen Hippchen in seiner Klinik hier in der Nähe von Schlabbach ausgeführt. Völlig legal. Eine verheiratete Frau dürfe ihr Organ ihrem Gatten spenden, wenn sie das möchte. So argumentieren selbst die Kassen. Ein solcher Eingriff sei nicht einmal ein moralisches Problem. Denn dass es sich um Zwangsverheiratungen gehandelt habe, sei in keinem Fall erwiesen, behaupten die Standesämter. Wir wissen, dass bei Zwangsverheiratungen Summen bis zu 50.000 Euro gezahlt wurden, bei Organspenden entsprechend mehr. Die islamischen Rituale der Heiraten wurden fast alle im Fort Hackenberg in der dortigen Kapelle vollzogen. Mlasec hat in der Nähe des Forts ein gut gehendes Restaurant. Da wurde gefeiert. Das war fester Bestandteil der Verheiratungen und wertete die Brauteltern auf.«
    Frau Quack schwieg, um sich zu sammeln. Der Bericht strengte sie an. Sie redete sehr schnell, als wollten wir weglaufen und ihr nicht zuhören. Personen wie Frau Quack wurden schnell abgelehnt. Man verdächtigte sie der maßlosen Übertreibung. Frustrierte Zicke. Die von ihr geschilderten Zustände passten in kein Vorstellungsraster.
    Wer hätte mir mein eher noch beschauliches Dasein als Schrankbewohner abgekauft? Witzbold, hätten sie gerufen.
    Frau Quack hatte sich etwas beruhigt.
    »Schon vor dem Tod von Nemec hatte sich die Situation im Lager drastisch verändert. Es herrschte eine Art Anarchie. Das Lager befand sich in Auflösung. Duldungen wurden reihenweise aufgehoben. Abschiebungen wie am Fließband

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