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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Grundschule gegangen. Es war keine Pflicht für sie. Thomas vervielfältigte das Protokoll seiner Schwester und verteilte es überall. Es war sein stummer Protest. Und er löste sich völlig von Mlasec, dem er bis zu diesem Tag geradezu hörig war. Mlasec war sein Idol, obwohl er ein abscheulicher Mensch ist. Ein Leuteschinder. Ich werde sie alle umbringen, schwor er, nachdem Nemec tot war, sobald ich so stark bin wie er. Bald tue ich es. Ich habe alles gesehen. Ich war dabei. Er sagt nicht, wobei er war und was er gesehen hat.«
    Sie sann vor sich hin.
    »Ich glaube, dass Thomas weiß, wie das von Nemec untersuchte Mädchen starb. Und wie Nemec umkam. Nemec war für Thomas sehr wichtig. Er war sein Anker, sein einziger Halt. Er vertraute ihm. Sein Tod war für ihn ein großer Verlust. Genauso für Lea.«
    Ich machte mir Sorgen um meine beiden Gefesselten im Lieferwagen. Ich fürchtete, dass sie abgelöst und dadurch befreit werden könnten durch den Tangotänzer und den Dicken. Ich wollte das nicht. Sie hatten mir bestimmt einiges zu sagen.
    »Entschuldigt mich einen Augenblick.«
    Ich verließ das Haus. Der Lieferwagen stand noch da. Ich sah auch keinen Tangotänzer oder eine andere verdächtige Gestalt. Ich ging zu dem Wagen und öffnete die Fahrertür. Ich stieg in den Wagen auf den Fahrersitz. Marc Poulet rollte mit den Augen, als er mich sah. Betty von Nettelburg ächzte. Ich konnte es nicht lassen. Mit einem Kugelschreiber malte ich auf das Klebeband von Poulet einen lächelnden Mund.
    »Geht es Ihnen gut? Sie haben Zeit, sich zu überlegen, was Sie mir sagen wollen.«
    Ich kehrte in das Haus zurück. Dort wollte man ins Flüchtlingslager aufbrechen. Torsten Meyer und Martin Degrange hatten sich immer noch nicht gemeldet. Wir machten uns Sorgen. Auf der Wache wussten sie auch nichts von ihnen.
    Der Lieferwagen stand einsam an der Bordsteinkante.
    Wir machten uns auf den Weg ins Lager.

19
    Von Weitem sah das Lager malerisch aus. Weiße, viereckige Häuser mit jeweils zwei Stockwerken und Balkonen leuchteten zwischen Bäumen. Es gab auch keine Einzäunung, keine Schlagbäume, wie ich es erwartet hatte. Es war auf den ersten Blick eine ganz normale Waldsiedlung. Der Eindruck änderte sich schnell. Von den Häusern blätterte der Putz ab. Die Straßen zwischen den Häusern, die in vier langen Reihen kasernenmäßig angeordnet waren, waren voller Schlaglöcher. Bürgersteige gab es keine. Es gab sandige Trampelpfade voller Müll und Abfälle. An Wäscheleinen wehten vereinzelt Wäschestücke. Die Balkone waren allesamt abenteuerlich mit Pappe, Tüchern, Wellblech und Holzkisten verbaut und verbarrikadiert. Kinder lärmten einem Fußball hinterher. Es gab keinen Spielplatz. Auf Bänken saßen Frauen und Männer. Lethargisch. Müde. Eine Frau kam uns entgegen. Sie wirkte erschöpft. Sie hatte einen erloschenen Blick. Sie sah uns nicht, als sie uns ansah. An den Hauseingängen standen vereinzelt oder in kleinen Gruppen Männer. Sie rauchten. Machten ein paar Schritte. Uns beachteten sie nicht. Man hörte außer den Rufen der Kinder nichts. Merkwürdige Stille herrschte. Als saugte ein Staubsauger alle Geräusche vom Himmel. Hin und wieder tauchte eine Frau mit Kopftuch oder Schleier kurz auf einem der Balkone auf. Warf uns einen Blick zu. Verschwand.
    »Die Kinder gehen nicht in die Schule. Sie wachsen ohne Ausbildung auf. Viele sind hier geboren. Es gibt Familien, die leben hier seit 12 Jahren. Ohne jede Beschäftigung. Mit einem Existenzminimum. Sie bekommen 40 Euro im Monat. Die können aus disziplinarischen Gründen teilweise gekürzt werden.«
    Frau Quack ging auf den Eingang eines größeren Gebäudes zu.
    »Hier ist die Lebensmittelausgabe.«
    Wir betraten eine hellgrün getünchte, große Halle ohne Fenster. Es gab ein paar lange Tische. Keine Stühle. Neonröhren warfen ein kaltes Licht. Der Boden war gekachelt. Man konnte ihn abspritzen. Ein Schlauch hing aufgerollt an einem Haken in der Wand. Ein etwa 30 Meter langer und zwei Meter hoher, grüner Laufkäfig, wie man ihn im Zirkus zum Einlaufen der Raubkatzen in die Manege benutzte, führte zu zwei Essensausgaben, die aussahen wie Bankschalter. Mit dickem Glas gesichert. Die Lebensmittel wurden durch eine Öffnung dem Empfänger zugeschoben. Die Essensausgeber waren geschützt wie die Sheriffs eines staatlichen Geldtransports. Der Empfänger musste quittieren. Im Käfig selber gab es zwei Barrieren, wie sie in Discountergeschäften üblich sind. Sie ergaben

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