Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Klein übersetzen müssen.
Diese nicht legale Praxis hatte mir die junge Frau in Berlin in der Kantine des Polizeiärztlichen Dienstes als besondere Schikane von Martha Klein beschrieben.
Um neun Uhr wollte Frau Quack vom Flüchtlingsrat zu Corinne Valéry kommen, um uns das Flüchtlingslager zu zeigen. Ich konnte nicht mehr lange im Café bleiben. Ich hatte den Bericht von Lea vor mich auf den Tisch gelegt. Ich starrte auf ihn wie auf ein Mahnmal.
Meine eigene Existenz als Schrankbewohner schien mir entsetzlich banal.
Ich stand plötzlich hüllenlos da, wie nach der Vertreibung aus dem Schrankparadies. Ich sah meine Hilfsbrüder Hals über Kopf vor der neuen Situation türmen. Mein siamesischer Zwilling zog zwar ein schiefes Maul, aber er blieb noch. Der Schrank hatte sich auch aus dem Staub gemacht. Ich stand im Freien. Eigentlich hätte ich laut singend vor Begeisterung wie eine wippende Bachstelze einmal um den ganzen Markt hüpfen müssen.
Ich sah den hellen Lieferwagen vorfahren. Er hielt gegenüber des Hauses von Corinne Valéry auf der anderen Straßenseite. Ich zahlte und verließ das Café.
Ich steuerte auf den Lieferwagen zu. Ich war glänzender Laune. Sie überkam mich urplötzlich. Als stünde in dem Lieferwagen aufgereiht ein ganzer Tresen voll mit hochkarätigen Nulpen, die alle eine kolossale Abreibung brauchten. Die Vorstellung beglückte mich. Der Lieferwagen hatte seitlich eine Schiebetür. Sie hielten es nicht für nötig, die Türe zu verriegeln. Ich konnte sie behutsam öffnen. Ich wollte die Insassen nach Möglichkeit überraschen. Innen war alles so, wie ich es erwartet hatte. Der Lieferwagen war vollgestopft mit Technik. Ich erkannte die Stimmen von Corinne und Barbara. Zwei Gestalten mit überdimensionalen Kopfhörern auf den Ohren horchten das Haus von Corinne ab. Die Stimmen von Barbara und Corinne hörte ich leise aus dem digitalen Aufnahmegerät sprechen. Die beiden Gestalten waren nicht die, mit denen ich gerechnet hatte. Es waren nicht der Tangotänzer und der Dicke. Es waren Marc Poulet und Betty von Nettelberg. Auf die beiden war ich wirklich nicht gefasst.
Poulet hatte mir den Rücken zugewandt. Betty von Nettelberg saß neben ihm. Ich zupfte Marc Poulet an einem Ohrläppchen. Es fühlte sich an wie Weichgummi. Er zuckte weg mit dem Kopf und drehte sich um. Ich verpasste ihm sofort einen Kinnhaken und riss ihm die Kopfhörer von den Ohren. Betty schaute entsetzt. Sie wollte schreien. Ich haute ihr auf den Mund. Ich hatte keine Skrupel.
Ich wollte das Treffen mit Frau Quack nicht verpassen. Mit diesen beiden Gestalten wollte ich aber auch noch ein paar Wörtchen wechseln. Ich musste sie fesseln. Poulet fingerte in einer Ablage herum, die halb versteckt hinter seinem Rücken war. Ich knallte ihm wieder eine und holte aus der Ablage eine Pistole. Ich steckte sie ein. Dann fesselte ich die beiden mit Elektrokabeln, die säuberlich in Rollen gewickelt an Haken hingen, die in Holzleisten an der Decke des Lieferwagens gebohrt waren. Sie leisteten keinen Widerstand und ließen alles bereitwillig mit sich geschehen. Ich fand auch breite, silbrige Klebestreifen. Es war mir ein Vergnügen, Poulet den Mund zu verkleben.
Betty grunzte, als ich ihren Mund zupflasterte.
»Bis dann.«
Ich warf die Schiebetür zu und öffnete die Fahrertüre. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Ich zog ihn heraus und verriegelte das Auto. Ich überzeugte mich, dass es nicht im Halteverbot stand.
Tief befriedigt betrat ich das Haus von Corinne. Kaffeeduft schwebte mir entgegen. Frau Quack war schon eingetroffen.
Corinne goss auf der Veranda gerade den Kaffee ein.
»Willst du auch eine Tasse?«
»Ja.«
Ich ging in die Küche und holte mir eine.
»Wo bleiben denn Martin und Torsten?«
Corinne goss in einem hohen Strahl sehr gekonnt Kaffee in meine Tasse.
»Vielleicht haben Martin und Torsten Scherereien mit ihrer Behörde. Warten wir es ab.«
Meine Begegnung mit Marc Poulet und Betty von Nettelberg verschwieg ich. Da hatte ich meine eigenen Pläne. Ich wollte die beiden noch ein bisschen quälen und auspressen. Da konnte ich die Frauen nicht gebrauchen.
Ich reichte Frau Quack den Bericht von Lea Bosic.
»Kennen Sie ihn?«
»Oh ja.«
»Können Sie mir etwas dazu sagen?«
»Darf ich mal lesen?«, fragte Barbara. Frau Quack gab ihr den Bericht. Barbara las ihn. Sie war sichtlich schockiert. Sie reichte ihn weiter an Corinne.
»Ich kenne ihn.«
»Thomas Bosic hat heute Morgen in meinem Zimmer
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