Fröhliche Zeiten
zu einem kleinen Fort Knox, zur Golddeckung der neuen Währung. Über den Schwarzmarkt schloß man, wie bisher, die Lücke zwischen Zuteilung und Bedarf. Auch die Billardtechnik blieb. Wer etwas brauchte, zielte in eine Richtung, wo es das bestimmt nicht gab, um es am Ende aus einer völlig anderen zu bekommen.
Wer Fensterglas suchte, sah sich nach Eiern um, die er für Schuhsohlen einem Fahrradreifenbesitzer, im Tausch gegen Geräuchertes, für eine Kiste Hosenträger von dessen Schwager seiner Cousine abschwatzte. Sie kannte den Glaser.
Die Kunst des lateralen Denkens feierte Hochblüte. Da verschob eine junge Dame aus streng gehüteter Quelle schachtelweise Camelia gegen Butter, ohne daß ihr Verlobter von den zyklischen Machenschaften erfuhr, die ihn bei Kräften hielten. Fiel eine Kundin wegen Nachwuchssorgen aus, trat eine Sorglose an ihre Stelle. Hier Butter, dort Mutter — auch das eine Spielart der Wende, eine Doppelwende zur Unzeit. Sie rückgängig zu machen, soll ein verzweifeltes Paar das ganze Kopfgeld gekostet haben. Vielleicht haben sie’s als Warnung verstanden.
Als gutes Omen nicht zu verkennen, bekam ein Freund am Stichtag gleich zwei Care-Pakete aus den USA. Er reagierte auch prompt und leistete sich den Luxus, für seine Kopfquote etwas Unnötiges zu kaufen, einfach so, weil es ihm gefiel. Der Leichtsinn vermittelte ein Gefühl von Freiheit, von Sorglosigkeit, das damals Wohltat wie ein Ausflug in die satte Schweiz, ein Gefühl, das zu schätzen wir verlernt haben.
Bis in die unstofflichen Gefilde der Geistesarbeiter wirkte das Umtauschdatum als Wendemarke. Die Realität einer soliden Währung half nebenbei, schon länger bezogene Standpunkte zu verfestigen. Man rückte deutlicher auseinander. Unmittelbar nach dem Krieg hatten sich Dreißig- bis Vierzigjährige zur Jungen Generation ernannt, die jetzt ihre Stimme erheben müsse. Angesichts der verlorenen Jahre eine verständliche Verspätung. Zumal die tatsächlich junge Generation noch in Schweigen verharrte.
Hans Werner Richter, Vater der Gruppe 47, hat das so diagnostiziert: »...sie schweigt, weil sie nicht verstanden wird und weil sie nicht verstehen kann, geprägt vom totalen Erlebnis des Krieges, dem Verlust der bisher gültigen ethischen, moralischen und geistigen Werte .« Ihr Schweigen sprach für die Jungen. Sie wollten sich zuerst orientieren. Es gab noch keine ideologischen Fertiggerichte, die man nur aufzuwärmen braucht, um mitzureden. Fest stand lediglich, daß man sich engagieren werde. Politisch die einen, als Gewissen der Zeit gewissermaßen — skeptisch die andern, weil sie sich nach dem jüngsten Dilemma als Ideologiegeschädigte verstanden. Sie wollten abwarten. Noch lebten wir ja in einem Provisorium. Ihr Engagement bestand in kritischer Distanz. Sie mieden die schon damals zunehmend humorlosen Politikdiskussionen.
»Sie mißtrauten der Ideologie-Krankheit unseres Jahrhunderts, der einseitigen Verabsolutierung von Teilwahrheiten...« wie der Publizist Gustav-Rene Hocke das formuliert hat. Insbesondere die Literatur sollte nicht schon wieder politisches Tendenzinstrument werden, für alle verbindlich, wie bei den Nazis.
Die Skeptiker engagierten sich für humorige Gelassenheit, für Werdenlassen statt programmierter Verbohrtheit. Sie bevorzugten die Satire, das kabarettistische Feuerwerk nach allen Seiten.
Ironie und Bierernst stießen zusammen. Die politisch Engagierten zichtigten die Skeptischen der Resignation und Oberflächlichkeit — ein logischer Schluß in unserem schwerblütigen Land.
So wurde mit der Reichsmark auch der Humor abgewertet, wieder einmal. Bis heute gilt er als zweitklassig. Die engagierte Humorlosigkeit missionierender Dilettanten behielt, wie gehabt, ihren alten Kurswert. Fröhlicher sind die Zeiten dadurch nicht geworden. Heute wissen wir’s.
Doch es besteht Hoffnung. Wenn wir von der Verdrossenheit und vom Genughaben endlich genug haben, darf wieder gelacht werden. Aus Psychohygiene am besten über sich selbst. Es wäre ein Novum in der deutschen Geschichte.
Im rundherum stofflichen Bereich wirkte die Zäsur einschneidend wie ein Tranchiermesser. Selbst bei sogenannten volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben zeigte es sich, daß der Einfallsreichtum, mit dem sie gegründet worden waren, plötzlich nicht mehr zählte. Wo Staat spürbar wird, haben es Individualisten mit ihren Ideen schwerer; Staat engt die Freiheit, die persönliche Entfaltung zwangsläufig ein.
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