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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zweier Freunde mögen beweisen, was damals trotzdem möglich war. Vom Krieg her in listenreicher Abwehr von Bevormundungen trainiert, hatten der Musikverleger, Komponist und Sänger Ralph Maria Siegel und sein Bruder Bruno, seines Zeichens Diplomingenieur, den Untergang des Reiches wahrhaft ingeniös abgefedert. Das hieß: rechtzeitig am richtigen Platz untertauchen. Der richtige Platz war ein kleiner Ort bei Amerang im idyllischen, bayerischen Chiemgau.
    Ralph Maria, bei der Wehrmacht ein gefragter Entertainer gewesen, hatte die Dreistigkeit und Geschicklichkeit besessen, mit seiner Schlagerprominenz den ländlichen Behörden 1944, mitten im nicht mehr aufzuhaltenden Zusammenbruch, die Genehmigung für den Bau eines Hauses am Dorfrand abzuluchsen — als Nichtnazi wohlbemerkt — und die erforderlichen Bauarbeiter für sich abkommandieren zu lassen.
    Landesweit unerreichbares Baumaterial, Leitungsrohre, Kabel, Fenster, Türen, Ziegel, Installationsteile zweigte Bruder Bruno in der fernen Reichshauptstadt ab. Als Oberfeldwebel-Ingenieur kannte er die geheimen Quellen, schmierte Zerberusse und brachte die sperrigen Güter per Bahn an den Bestimmungsort — ein immer wieder von Tieffliegerangriffen auf freier Strecke gestörtes Husarenstück. Überhaupt gehört dieser verfrühteste Wiederaufbau ein Jahr vor dem bitteren Ende von Rechts wegen ins Guiness-Buch der Rekorde.
    Hinzu kommt, daß sich die beiden Brüder vollster Gesundheit erfreuten, ein Zustand, der damals normalerweise durch Fronteinsatz geändert wurde. Vorsorglich hatte sich Freund Bruno über einen Kameraden das Gegenteil bescheinigen lassen: D-U- dienstunfähig, mit amtlichem Stempel. Bruder Ralph besaß einen Unterarmgipsverband, in den er bei Bedarf wie in einen langen Damenhandschuh hineinschlüpfte.
    Angesichts solcher Umsicht und Kreativität überrascht es nicht, die Brüder nach Waffenstillstand nicht in Gefangenschaft abtransportiert, vielmehr wohlgenährt im neuen Eigenheim zu finden. Mit ungeschmälerter Kraft halfen sie beim Schwarzschlachten, beim Melken und mußten die unentrahmte Milch zusammen mit den Dorfbewohnern und einigen Flüchtlingen selber trinken. Einen Wagen, der die nahrhafte Flüssigkeit hätte in andere Versorgungsgebiete bringen können, gab es nicht mehr.
    Satt zu sein, ein Dach überm Kopf und Holz im Herd zu haben, hätte andere wunschlos im Verborgenen schwelgen lassen, um ja nicht aufzufallen. Die Gebrüder Siegel dagegen drängte die neue Lage zu neuen Taten. Nach München wollten sie, ins phantasiebeflügelnde Durcheinander der Großstadt, wo Ralph noch eine Wohnung besaß. Ein Motorrad, mit vollem Tank gegen Naturalien eingetauscht, sollte sie ans Ziel bringen. Das Verbot für Deutsche, den Wohnort zu verlassen, gar motorisiert durch die Gegend zu fahren, umgingen sie mit einer selbstverfertigten Sondergenehmigung. Darauf stand, entgegenkommenderweise in englischer Sprache, daß die Brüder wegen eines Todesfalls in der Familie unverzüglich nach München fahren müßten — geringeres als Tod wäre aussichtslos gewesen — deshalb Funeral on Friday. Amtlich beglaubigt mit Stempel und Unterschrift vom Dorfbürgermeister.
    Während Ralph, der Ältere, sich sofort bei der amerikanischen Truppenbetreuung, dem Special Service, meldete und vor olivgrünen Uniformen dort weitersang, wo er vor dem Graugrün der Wehrmacht aufgehört hatte, gleichzeitig mit amerikanischer Lizenz das Theater in Göggingen übernahm und in seiner Münchner Wohnung den Musikverlag wieder aufleben ließ, verschaffte sich der jüngere Bruno durch Mitarbeit beim Suchdienst des Roten Kreuzes Zuzugs- und Aufenthaltsgenehmigung in der bayerischen Landeshauptstadt. Friedensmäßig bei Kräften wie er war, genügte auch ihm nur eine Tätigkeit nicht. Im eigenen Auto das unentbehrliche Vehikel für Bewegungsfreiheit und die Abwicklung von Geschäften erblickend, machte er sich — es war noch im Jahr 1945 — unverzüglich daran, die nötigen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnis zu schaffen. Das hieß: Gründung eines volkswirtschaftlich wichtigen Betriebes. Was war wichtig im Sinne dieser Verordnung? So ziemlich alles, was es nicht gab. Wie aber kam man an das Nichtvorhandene? Indem man Ersatz schaffte.
    So nüchtern sich seine Überlegung liest, so viel Einfälle und Kombinationstalent waren erforderlich, um sie zu verwirklichen. Er begann, wie man damals anfing — bei Null.
    Über einen ehemaligen Kollegen, den er zufällig wiedergetroffen hatte,

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