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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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ganz große Jahrgang aber, der beide Daseinsvarianten, den Ruf des Vaterlandes wie den der bürgerlichen Existenz, bis zur Endlosigkeit miteinander verschmolz, der Jahrhundertjahrgang ist jener mit der — wie könnte es anders sein — geschichtsträchtigen Zahl 1914.
    Vom Konkurs des Staates — dem einzigen, der Arbeitsplätze in Fülle schafft — merkten die Neugeborenen noch nichts. Gewiß, ihre Kindheit fiel ernster und magerer aus — aber sie wußten es nicht. Sie lernten das Wort Not früher als andere Kinder und übten sich in Bescheidenheit. Zwei weitere Tugenden gesellten sich dazu: Geduld und Hoffnung.
    Was für ein Jahrgang! möchte man ausrufen.
    Wie die Vierzehner zu derart prächtigen Menschen wurden, mag der Werdegang eines alten Freundes veranschaulichen, der hier als Modell für den überstrapazierten Jahrgang steht:
    Gert Hornung heißt er und wollte nach bestandenem Abitur Schauspieler werden. Man schrieb das Jahr 1933. Kein Krieg, keine Allgemeine Wehrpflicht hinderten ihn daran, von der Schulbank weg auf die Bühne zu springen. Auch nicht der überall propagierte Ausbruch einer großen Zeit. Das Veto kam von der Familie. Die war eine sogenannte Gute und empfahl dem jungen Mann, vorab einen ordentlichen Beruf zu erlernen. Zur Sicherheit, falls die Kunst, das Talent oder die Zeitläufe selbständigen Broterwerb nicht sollten garantieren können.
    Freund Gert erblickte in ihrem Ansinnen eine möglicherweise berechtigte Übung in Geduld. Jugendliche folgten damals noch dem Wunsch derer, die ihre Ausbildung finanzieren wollten.
    Was geht am schnellsten und bietet die vielseitigsten Möglichkeiten? fragte er sich und wählte, mit dem Hintergedanken, morgens zu studieren, abends als Statist zu agieren, das Studium der Jurisprudenz.
    Es ließ sich günstig an. Die Münchner Universität wie auch die Münchner Kammerspiele kannten keinen Numerus clausus. Fünf Semester lang bewältigte der Schlauberger das Doppelrollenspiel zur Zufriedenheit von Eltern, Professoren, Regisseuren und Publikum. Was ihn besonders freute: der Beifall abends war stärker als der am Vormittag.
    Im Jahr 1935 wurde Gert für seine erste Hauptrolle verpflichtet. Das Stück war neu und hatte in der Welt Aufsehen erregt. Es hieß Allgemeine Wehrpflicht. Ein ungemein ausschließliches Stück. Nebentätigkeiten auf der Universität, an den Kammerspielen, das fröhliche Studentenleben entfielen. In der Rolle eines Infanteristen diente er beim großen Staatstheater lange zwölf Monate.
    Drei Wochen vor Schluß — er freute sich schon auf die Rückkehr — wurde sein Vertrag beim Staat aus heiterem Himmel verlängert, für ein neues Stück, ein starkes Stück. Es hieß Zweijährige Dienstzeit.
    Die Enttäuschung war groß. Es gab zahlreiche Selbstmorde unter den Kameraden. Freund Gert zeigte Geduld. Aus Intelligenz fügte er sich in das Unvermeidbare und entwickelte das Prinzip Hoffnung. Seine Disziplin wurde belohnt. Im Herbst 1937 durfte er die Truppe verlassen. Mit neuem Kostüm — als Feldwebel der Reserve.
    Nun nach zweijähriger Pause das Studium wieder aufzunehmen, entsprach Repriseproben für ein längst vergessenes Stück. Er mußte praktisch wieder von vorn anfangen. Ein halbes Jahr blieb ihm, um seine Erinnerungen aufzufrischen, dann holte ihn der Staat ohne Vorwarnung zurück. Die Zeit hatte sich »vergrößert«, es galt in Österreich einzumarschieren.
    Das Gastspiel dauerte nicht lang. Noch im selben Jahr, Ende 1938, wurde der Feldwebel wieder entlassen. Er durfte sich jetzt Referendar nennen und kurze Zeit später Herr Doktor. Das mit den neuen Würden verbundene zweijährige Dasein als Referendar ungestört hinter sich zu bringen, gelang ihm jedoch nicht.
    Am 1. August 1939 holte ihn der Staat abermals zurück. Mobilmachung hieß das Stück. Die neue Rolle eines Leutnants war da kein Trost, kein Ersatz für nachhaltig gestörtes Zivilleben, nur die normale Folge langjährigen Engagements.
    Diesmal sollte Gerts Geduld übermäßig strapaziert werden. In den folgenden sechs Jahren bis zum Mai 1945 fielen im Fronteinsatz weitere Beförderungen an. 1941 die zum Oberleutnant, 1942 die zum Hauptmann. Auch zivil stieg er auf. Zum Assessor, genauer zum Assessor K — für Krieg — eine Regelung der damit verbundenen Bezüge wegen. Hinzu kam schließlich die für das Überleben nachgerade unerläßliche Verwundung, der sogenannte Heimatschuß. In einem Münchner Lazarett bei den Barmherzigen Brüdern hoffte der Blessierte

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