Fröhliche Zeiten
diesen Worten hatte Madame ihr Warten auf den Generalkonsul umschrieben. Jetzt sollten Freunde wie Klatschmäuler erfahren, daß es kein Scherz gewesen war.
»Ich bin Holländerin und brauche Ordnung. Ich will ein Haus führen, Gäste empfangen...« ließ sie verlauten. Im April 1957 wurde sie im Zürcher Stadthus Madame Styler. Amtlich, nicht nur réligieusement.
In Harlaching bezogen die Stylers eine Villa mit Diener und bis zu zwölf Möpsen; der Kardinal segnete das Haus; das Gästebuch verzeichnet bekannteste Namen aus aller Welt, Politiker, Industrielle, Adelsschickeria. Bazillen waren nicht zugelassen. Um ihnen vorzubeugen, mußte das Hausmädchen zum Bettenmachen weiße Handschuhe tragen.
Schlich sich dennoch einer ein und verursachte beispielsweise Schnupfen, sagte der Generalkonsul alle Einladungen ab und verließ das Zimmer nicht, bis die Störung abgeklungen war. Bazillen aus Dabeiseinwollen an andere weiterzugeben, hätte er als rücksichtslos empfunden. Einen der vielen Möpse ja — den konnte man weitergeben, wie es einmal geschehen ist. An den Schah von Persien, ganz entre nous.
Gelegentlich sah ich sie, die Möpse, von Madame mit großem Hut, zierlichem Stöckchen und kleinen Schrittchen Gassi geführt. Oder ihn im taillierten Mantel mit Seidenschal, Homburg, Spazierstock und Diplomatentasche, das gepflegte Bärtchen unter der Nase von einem Lächeln in die Breite gezogen, an einer Haltestelle der Straßenbahn.
»Konsul, Sie hier ?« wollte ich sagen, doch da hatte er mein Erstaunen bereits unterlaufen.
»Mon eher ami, es gibt nur zwei Arten, sich fortzubewegen: Trambahn oder Rolls Royce .«
Vierzehn Jahre dauerte das ausgereifte Glück aus Rücksicht, Toleranz und gemeinsamem Gelächter. Galant ließ er Madame auch an der letzten Tür den Vortritt, gab das Haus auf, zog in die Maximilianstraße schräg gegenüber dem Hotel, wo sie auf ihn gewartet hatte. Nun wartete er.
Es wurde stiller um Styler. Wie es um ihn stand, zeigte sich bei einer Bootspartie auf dem Gardasee. Wohlgelaunt und leichtherzig brillierte der Salonlöwe wie gewohnt. Ein Sturm kam auf, die Wellen spielten mit dem Schiff. Schreiend und zu Tode geängstigt klammerten sich die Gäste an feste Gegenstände. Nicht so der Generalkonsul. Im Trenchcoat, den Mantelkragen hochgeschlagen, ein Hermes-Tuch unterm Kinn geknotet, saß er in korrekter Haltung auf dem Achterdeck. Selbst als das Schiff zu kentern drohte, blieb er unbewegt. Todesangst? Mon Dieu! Damit konnte er sich nicht aufhalten und sagte nur, ganz für sich: »Ysabel, ich komme .«
Seine Zeit war vorbei, doch er mußte noch warten. Elf Jahre nach Madames Abschied fiel er auf der Maximilianstraße um und kam nicht mehr zu Bewußtsein. Paradiesvögel wie er sind ein Maßstab. Sie gedeihen in fröhlichen Zeiten. Mit Freunden den Freuden zugetan, für sich selbst bescheiden , immer dezent, ein gütiger Pfau, eine Zelle Heiterkeit in der Welt, hatte Münchens Sonnenkönig das, was man Lebensart nennt. Homburg ab vor Herbert Styler.
Geduld und Hoffnung
Bei dem Wort Jahrgang denkt man in Friedenszeiten an Wein. Trägt er das Siegel höchster Reife, bester Qualität, spricht man von einem großen Jahrgang.
In großen Zeiten denkt man bei dem Wort Jahrgang an Soldaten. Hier gelten die Jungen, noch Unausgegorenen, voll unverbrauchter Kraft und Begeisterungsfähigkeit als bestes Menschenmaterial, wie es so human heißt. In den herrlichen Zeiten Kaiser Wilhelms II. gehörten die 1894 bis 1896 Geborenen zu den großen Jahrgängen. Sie hatten gerade die Schule hinter sich, da durften sie, ohne sich mit Gedanken an eine bürgerliche Existenz aufzuhalten, 1914 in den Ersten Weltkrieg ziehen.
Wer durchkam, konnte sich, schon Mitte zwanzig, daran machen, eine zweite Rekrutenzeit zu durchlaufen. Diesmal für sich, im erwählten Beruf, der es ihm gestatten sollte, fast zwanzig Jahre lang ein ziviles Leben zu führen.
1939, in den allerbesten Jahren um die Mitte der Vierzig, mußte er wieder einrücken, nur kurz vermutlich, man sprach von Blitzkrieg, später dann vom Zweiten Weltkrieg. Wer durchkam, konnte als Fünfziger wieder von vorn beginnen.
Von der Schule weg dem Ruf des Vaterlandes gleich zu Anfang folgen zu müssen, blieb auch den Jahrgängen 1919-1921 nicht erspart. Wer durchkam, darf mittlerweile hoffen, daß es bei diesem einen Ruf bleibt. Sollte urplötzlich wieder eine große Zeit ausbrechen, sind die Herren für unmittelbare Arbeit an der Größe bereits zu alt.
Der
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