Fröhliche Zeiten
bayerischen Hauptstadt wimmelte es förmlich von Generalstöchtern. Viele stammten von ostpreußischen, sächsischen, schlesischen Gütern oder sahen jedenfalls so aus. Sie waren als Flüchtlinge und Evakuierte an die Isar gekommen und dageblieben. Den Grund spiegelt ein Satz, der in ihren Kreisen damals die Runde machte. Lapidar, dabei bundesweit, schildert er die Aussichten, einen Beruf, eine Anstellung zu finden.
In Hamburg mußt du mit jemand verwandt sein;
in Düsseldorf wird gefragt: Hat sie was?
in München heißt’s nur: Ist sie nett?
Freundlich-distanziert, wie sie sich gaben, mitunter zum Gähnen konventionell, wie sie waren, fielen sie doch besonders angenehm auf. Man witterte Schicksal hinter der geordneten Fassade und jene Disziplin, die bestach, obwohl sie im Zuge der Demokratisierung als martialisches Relikt ausgemustert wurde.
Bei den Generalstöchtern schien die Zeit stehen geblieben. Noch immer umwehte sie jene vor dem Krieg in gehobenen Kreisen vorherrschende deutschnationale Naivität, jener unreflektierte Gehorsam, die törichte Anständigkeit, die es Hitler so leicht gemacht hatten. Männliche Tugenden aus militärischem Blickwinkel und auch für höhere Töchter verbindlich.
Der junge Mann aus gutem Hause war seinerzeit selbstverständlich Offizier geworden und ohne Murren in den Krieg gezogen. Für sein Vaterland. Zu fragen, wie das aussah, wer die waren, die ihn schickten, verbot ihm der Fahneneid. Man war nicht dafür, aber man tat seine Pflicht, lenkte sich mit dem Gegner ab.
Im Urlaub hatte man sich unter den Töchtern des Landes nach einer Frau umgesehen. Es war zu rasch geheiratet worden, unter dem Druck der Umstände, andererseits wohltuend früh defloriert. Der junge Mann aus gutem Hause war gehalten, »etabliert« zu fallen, eine Witwe aus bester Familie zu hinterlassen und einen Erben, der den Namen weitertrage.
Da standen sie nun hinterm Ladentisch, mit oder ohne Nachwuchs, ohne Murren, ohne Klagen über die veränderte Welt. Zu fragen, wie es dazu hatte kommen können, kommen müssen, verbot ihnen der Stolz als Besiegte. Damit lenkten sie sich ab. Gab es Engpässe, wurde ein Schmuckstück aus der Familie verkauft.
Mit den Jahren verblich das eingetrichterte Weltbild. Vor dem Foto des als Parzifal in Uniform aus dem Silberrahmen lächelnden Geliebten überlegte manche, ob er wohl in Friedenszeiten oder gar unter heutigen Bedingungen zu ihr gepaßt hätte. Ein Gefühl der Erleichterung kam auf. Es war förderlich gewesen, sich allein behaupten, sein eigenes Geld verdienen zu müssen, statt zeitlebens gnädige Frau zu bleiben, in Tradition gefangen, ohne die Männer kennengelernt zu haben, die jetzt eine Rolle spielten. Ihre Erziehung, für eine andere Zeit gedacht, nahm sich im Geschäft wohltuend aus. Distanziert-höflich, unangestrengt-kultiviert, unaufdringlich gebildet.
Ein Mädchen zum Heiraten! dachte so mancher, der gern sicher geht, und lud es zum Essen ein.
Kühl sagte die Kühle zu, war pünktlich und passend angezogen. Ihr Auftreten bestätigte alle Erwartungen. Schon weil sie zuhörte. Mit der Stimmung kam dann die Wandlung. Beim Nachtisch rückte die Generalstochter zur Gegenwart auf, beim Wein überschritten ihre Ansichten ihre Erziehung. Sie lachte, wo er dachte, sie werde die Augen niederschlagen.
Das ließ auf größere Nähe hoffen. Er versprach ihr, sie auf Händen zu tragen, und sie sagte ihm wohin bitte. Endlich sah er seine Unwiderstehlichkeit bestätigt und kam doch aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Ihr Auftreten übertraf alle Erwartungen. Sie konnte die Konvention ablegen wie Kleidung. Unter vier Augen schlüpfte sie aus beidem heraus. Überrascht zögerte der Partner. Aber nicht lange. Mit einer Zielstrebigkeit, die sich keineswegs auf damenhafte Andeutungen beschränkte, eröffnete sie ihm neue Perspektiven.
Nichts Hilfreiches blieb ungeflüstert, nichts Anregendes im Dunkel. Bis alle Wünsche übereinstimmten. Während er ihnen entsprach, ließ sie ihn wohlerzogen glauben, er führe. Und fuhr dann wieder fort.
Ihre Ausdauer reichte bis zum Frühstück. Übergangslos schlüpfte sie in ihre Schalen, in Halter und Haltung, schüttelte das Haar und war wieder ganz das, was sich, wie gesagt, im Geschäft so wohltuend ausnahm.
Die kleine Freiheit
Schuld an allem war Axel von Ambesser. Wir kannten uns seit meinem Engagement an den Münchener Kammerspielen, waren uns in der Schaubude begegnet und immer wieder privat.
Axel, der Ältere, stand
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