Fröhliche Zeiten
auf langsame Heilung. Kurz vor Schluß gesund zu werden, kam einem Todesurteil gleich.
Gert Hornung beschäftigte sich damals eingehend mit dem Gevatter. Bekannte, die von seiner Liebe zum Theater wußten, planten dem Grauen zum Trotz Hofmannsthals Der Tor und der Tod aufzuführen. Wenigstens stundenweise wollten sie die Wirklichkeit vergessen. Gesund genug, um den Tod darzustellen, gleichzeitig noch ausreichend verwundet, um ihm zu entgehen, willigte er ein. Seine damalige Gemütsverfassung beschrieb er später so:
Der Gedanke, gerade in diesen Tagen gerade diese Verse sprechen zu dürfen, war so verlockend, war gerade das, wonach man sich sehnte. Wir probten und vergaßen dabei und waren glücklich. Das Kostüm des Todes, den ich spielte, mußte so beschaffen sein, daß ich die Uniform darunter anbehalten konnte, denn noch gab es draußen die Pflicht und man wußte nicht, ob nicht plötzlich die Verzauberung einer sehr harten Wirklichkeit zu weichen hatte. Wir spielten schließlich vor ein paar Zuschauern, einige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner, als schon Artilleriegeschosse in den Nymphenburger Schloßpark zischten...
Das war am 24. März 1945, Ort der Handlung: ein Privathaus.
Endlich ging das Staatstheater im Endsieg unter. Auf kleinste Aussichten gründeten sich größte Hoffnungen. Man war frei. Das war aber auch alles. Wenn Gert glaubte, nun in dem gründlich vergessenen Beruf Karriere machen zu können — hier hatte er immerhin seinen Doktor — sollte er sich irren. Im Land herrschte ein Zustand, der gar keiner war. Auf Kanzleideutsch hieß er: Stillstand der Rechtspflege. Ein weiteres Jahr der Übung in Geduld, mit Studien in Unrecht. Nicht nur auf dem Schwarzen Markt.
Erst 1948 konnte der Jurist ohne Praxis das Unvollendete nachholen. Neun Jahre nach dem ersten Startversuch begann er seine zweite Referendarzeit. Diesmal, wie vorgesehen, für zwei Jahre.
Aber jetzt...
Nein, noch nicht. Da fehlte noch das Assessorexamen. Es warf den gestandenen Mann und mittlerweile Vater von zwei Kindern auf die Schulbank zurück. Umgeben von Kollegen, die bei gar nicht übermäßiger Frühreife seine Söhne sein konnten, mußte er sich von jungen, mit Lernstoff vollgetankten Professoren schikanieren lassen, über deren Lebenserfahrung und psychologische Urteilskraft er hätte lächeln mögen, wären sie nicht seine Richter gewesen. Von ihrem Unverstand hing seine Zukunft ab — ein bekanntes Motiv. Sie hatten Macht über ihn, waren weiter als er, nur weil sie anderen Jahrgängen angehörten.
Gleich Odysseus raffte Gert Hornung einmal mehr alle erlernten Tugenden zusammen. Er blieb gelassen und wurde Rechtsanwalt — mit gelegentlichen Ausflügen auf die Bühne. Im Freundeskreis. Nach zwei Ausbildungen in größtmöglicher Überlänge ist er gegen Schicksalsvolten immun. Und seien sie noch so aberwitzig.
Gewiß, andere kamen in Kriegsgefangenschaft, wo Geduld und Hoffnung erheblich strapaziert wurden. Das Hin und Her aber, die entmutigende Sisyphos-Arbeit, immer wieder von vorn anfangen zu müssen, ohne weiterzukommen, traf vor allem die Vierzehner. Ihnen gebührt das Qualitätssiegel größter Jahrgang des Jahrhunderts. Überreif, gewissermaßen vom Musketier zum Muskateller, sind diese armen Tröpfe als Tropfen die Beinah-zu-spät-Lese.
Aus bester Familie
Nach der Währungsreform tauchten in Geschäften, deren Warenangebot dem wiedererwachenden Bedürfnis nach Komfort entgegenkam — Antiquitäten, Mode, Leder, Glas, Porzellan, Schmuck, modernes Mobiliar — bisher hinter Ladentischen nicht gesichtete Wesen auf. Zu dem aus besseren Tagen herübergeretteten Ausdruck von Stolz und Gehorsam trugen sie das leicht gewellte Haar auf der Seite gescheitelt, dazu vorzugsweise Twin set mit Perlenkette oder lose geschlungenem Seidentuch, Schottenrock und an den gepflegten Händen Bandringe. Sie bewegten sich vorsichtig, aber nicht unnatürlich und mit jenem Lächeln, das überspielen soll, wie ungewohnt die neue Tätigkeit ist, stattdessen aber alles verrät. Ihre sorgfältige Ausbildung war in der veränderten Welt etwa so nützlich wie das Große Latinum beim Schwarzhandel. Manche hatten es.
Wir nannten sie Generalstöchter, obwohl es sich auch um junge Offizierswitwen handelte, die hier ohne weitere Vorkenntnisse eine Existenz zu begründen trachteten, um sich und die Ihren durchzubringen. Ahnungslose hinter Ladentischen sind auch heute weit verbreitet. Nur weniger gepflegt und höflich.
In der
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