Fröhliche Zeiten
sagte, was ich dazugelernt hatte, lachte er schallend. »Probieren wird man’s doch dürfen ?«
Der finanzielle Drahtseilakt glückte. Erfolg hielt die Balance zwischen Wollen und Können. Der ansteigende Zuschauerraum wurde verwirklicht, rechtzeitig bekam mein Schulfreund sein Geld zurück. Im Kollektiv aber kriselte es. Wegen Geld.
Bum Krüger war im neuen Programm nicht mehr dabei. Für ihn wechselte Publikumsliebling Ulrich Beiger von der Kleinen Komödie zur Kleinen Freiheit. Gisela Fackeldey von der alten Schaubude und Rainer Penkert, Eva Andres und Karl Schönböcks erste Frau, Herta Saal, machten das Ensemble bunter, vielseitiger. Auch ein neuer Autor stieß zur Truppe, Martin Morlock. Unter seinem bürgerlichen Namen Günther Goerke und mit seinem Gardemaß zum Nachwuchs-Filmbeau ausersehen, hatte er den Schreibtisch vorgezogen und wurde neben der literarischen Vaterfigur Erich Kästner zum stilprägenden Texter. Während ein Programm lief, trafen sich die Autoren jede Woche einmal, um das nächste vorzubereiten. Wie bei der jungen Gruppe 47 lasen wir einander Texte vor, die umgehend kritisiert wurden. Die Konferenzen fanden jeweils um 15 Uhr in Kästners Wohnung in der Fuchsstraße statt. Der Meister, gerade dem Bett entstiegen, saß im Bademantel, von seinen Angorakatzen umspielt, noch unrasiert am Tisch und frühstückte uns vor. Dem Kaffee folgten Bier und Zigaretten.
Wir, das waren Robert Gilbert, Per Schwenzen, Martin Morlock, Trude Kolman und ich bildeten auf der Eckbank sein Vis-à-vis und tasteten uns, mit Getränken nach freier Wahl versorgt, in lockerer Laune, mit ironischen Anmerkungen nicht geizend, an die Themen für neue Szenen heran. Mitunter gingen wir hochgestimmt ohne greifbare Ergebnisse auseinander. Dann klagte die Regisseurin über verlorene, weil veralberte Zeit. Verständlich aus ihrer Sicht. Wir aber nahmen die Stimmung mit nach Hause. Dort fiel uns dann doch etwas ein. Trude Kolmans Traum, einmal mit fertigem Programm in die Proben zu gehen, wurde nie erfüllt. Manche Autoren brauchen Zeitdruck, um fruchtbar zu werden. Prominentester Nachhinker war Erich Kästner selbst. Die Kleine Freiheit bildete nicht den Mittelpunkt seines Schaffens. Einmal erschien er auf der letzten Probe in der Nacht vor der Premiere mit sieben conférenceartigen Texten, die einen Block von Szenen gliederten.
»Lernen kann ich das nicht mehr«, sagte ich ihm. Das werden bestenfalls Kästner-Gedanken mit eigenen Beilagen .«
Nach dem Schlußvorhang kam er in die Garderobe und meinte: »Ich fand unser Duett sehr vergnüglich .«
Oft mußte ich in meiner Eigenschaft als radelnder Direktor morgens vor der Probe bei ihm klingeln, um einen Chansontext endlich abzuholen. Obwohl es um neun für ihn erst vier Uhr war, stand er auf, las das säuberlich getippte Manuskript noch einmal durch, fügte ein Satzzeichen ein, ehe er’s mir gab, oder rief mich aus dem Treppenhaus noch einmal zurück, um mit kurzem Bleistift in langer Rohrhülse ein letztes Wort zu ändern. Er war sehr genau, denn er war ein Dichter.
Unsere Autorensitzungen endeten stets gegen fünf. Danach beendete Kästner sein Lever. Mit Homburg und eingerolltem Schirm fuhr er im Taxi zum Café Leopold. Dort, in seinem Büro, wie er sagte, diktierte er seiner Sekretärin und erledigte die Post. Am frühen Abend schrieb er zu Hause, aß eine Kleinigkeit, bevor er wieder ins Taxi stieg, seine Runde durch die Lokale begann. Alle Chauffeure kannten ihn. Er hat nie einen eigenen Wagen besessen. Nach der Vorstellung traf ich ihn wieder. Im Konzentrat von Stimmen, Rauch und Musik, allein bei Bier mit Champagner und einem Zettel voller Notizen vor sich auf dem Tisch. Er nickte mir zu, ich ließ ihn bei seinen Gedanken. Plötzlich war er dann verschwunden, ins nächste Lokal gefahren. Seine Phantasie brauchte die Nacht und die Öffentlichkeit. Unter Menschen fiel ihm am meisten ein. Für Erwachsene und für Kinder.
Bei anhaltendem Erfolg entwuchs die Kleine Freiheit dem Etagendasein. Um alle Wünsche nach Karten erfüllen zu können, bevor das Publikum resignierte, brauchten wir schleunigst ein größeres Haus. Es fand sich in bester Lage: Maximilianstraße gegenüber der Staatsoper. Diesmal nicht über, sondern unter einem Café. Weil der Umbau mit erheblichen Kosten verbunden sein würde und ich als Querschreiber nicht mehr zur Verfügung stand, beschlossen wir, doppelt zu verdienen. Da kam die Einladung zu den Berliner Theaterfestspielen gerade recht.
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