Fröhliche Zeiten
Während wir auf Tournée gingen, sollte ein zweites Ensemble das alte Haus bespielen.
Ein Filmname fand sich — Ursula Grabley. Dazu kamen Renate Mannhard, auch in späteren Programmen dabei, Selma Urfer, Peter W. Staub, ein umwerfender Schweizer Komiker, der lange bei uns bleiben sollte, Jaspar von Oertzen, Klaus Poppitz und Dieter von der Recke . Wieder kriselte es im Kollektiv. Diesmal bei Ursula Herking. Ein neuer Mann an ihrer Seite forderte plötzlich doppelte Gage. Andernfalls lasse er Ursula nicht auftreten. Sie wartete vor dem Theater im Wagen. Die Relation zwischen Etat und Anzahl der Sitzplätze wollte der Mann, obwohl Rechtsanwalt, nicht einsehen. Hundertprozentig in allem, was sie tat, vertraute ihm Ursula und schied auf seinen Wunsch aus.
Für die Tournée engagierten wir Herta Worell, ersetzten die auf München zugeschnittenen Nummern durch andere. Ein Gastspielunternehmer vermittelte Auftritte in Stuttgart, Frankfurt, Darmstadt, Köln, Bonn und Marburg. Das Haus in Berlin stand bereits fest: die Schaubühne am Lehniner Platz.
Noch ein Neuer von der alten Schaubude kam zur Kleinen Freiheit: Fritz Walter. Er besaß alle Talente, die ein Theater braucht und wurde in kürzester Zeit als Darsteller, Abendregisseur, Organisator, Improvisator und Problemüberwinder zum unersetzlichen Faktotum, zur Seele des Unternehmens. Später hatten wir — ach — zwei Seelen. Werner Preuss hieß die zweite und bewies ihr Theaterblut vor allem um die Mittagszeit. Wer so gut weiß, was getan werden muß, daß er darüber das Essen vergißt, gehört dazu.
Mit einem Privatwagen und einem gemieteten Kleinbus rollten wir aus Bayern ins Abenteuer. In München an ausverkaufte Vorstellungen gewöhnt, wunderten wir uns schon im Frankfurter Theater Am Zoo über mangelhaften Besuch. Man kannte die junge Kleine Freiheit noch nicht überall. Auch sahen wir nur wenige Plakate. Und noch weniger Gage. Sie kam erst später.
Was bleibt im Gedächtnis bei diesem Spiel als Beruf? Erfolge vergilben wie Kritiken, die sie festhalten wollen. Unverlierbar aber, dem tausendmal gesprochenen Text vergleichbar, sind die Pannen, die Beinah-Katastrophen, an denen man gescheitert wäre, hätte man sie vorausgeahnt. Hinzu kommt die pubertäre Freude an Heimlichkeiten, die sich in diesem Metier als Jungbrunnen erweist. Man altert, ohne erwachsen zu werden, man siegt mit heimlichem Gekicher. Die wahrhaft beglückenden Pannen geschehen während der Vorstellung. Der Zuschauer ist immer der Lehrer, der nicht ahnt, was sich da vor seinen Augen abspielt.
Nach Jahren, nach Jahrzehnten genügt, wenn sich ehemalige Kollegen treffen, ein Stücktitel, ein Ortsname und alles ist wieder greifbar.
Bei uns zum Beispiel: Köln!
Wir traten dort in einem Kino auf. Das bedeutete: breite Bühne, ohne Tiefe. Zwei Meter hinter dem Vorhang war die Leinwand gespannt, dahinter, unverrückbar vor der Betonmauer, die Batterie der Lautsprecher. Keine Tür, kein Durchlaß an der Seite, um ungesehen auf die Bühne zu gelangen. Auch kein Schaltpult für das Licht. Die gesamte Scheinwerferanlage befand sich hinter schwerem Beton am anderen Ende, im Raum des Operateurs. Durch dicke, feuerfeste Glasfenster getrennt, konnte der Vorführer zwar sehen, was im Saal vor sich geht, hören aber konnte er nichts. Ein kleiner Kontrollautsprecher für den Filmton, mehr gab’s da nicht. Zwar ließ sich ein Mikrophon auf der Bühne dazuschalten, doch dann hätten wir dahinter stehenbleiben müssen, statt uns frei zu bewegen, wie’s die Szenen erforderten. Auch Vorhang und Beleuchtung konnten nur aus dem Vorführraum betätigt werden.
Wie sollten wir diese technische Festung erobern? Wie dem Filmvorführer klarmachen, wann er das Licht der jeweiligen Stimmung anzupassen, ein- oder auszuschalten habe? Wie und von wo die Bühne erklettern? Wohin mit Stühlen, Tischen, Requisiten? In welcher Ecke sekundenschnelle Kostümwechsel vornehmen? Problemüberwinder Fritz Walter, kurz Pinkus genannt, gab sich gelassen. Bei den Städtischen Bühnen besorgte er eine spanische Wand, zwei Garderobenständer, eine kleine Treppe, eine Handlampe und gut zweihundert Meter Stromkabel. Nach längerer Unterredung mit dem Vorführer bat er uns zu einer technischen Probe. Seltsamerweise auf den Parkplatz neben dem Kino. Aus dem vordersten Notausgang lief das Kabel an der Hauswand entlang über die Feuerleiter hinauf zum Vorführraum. Noch ohne klare Vorstellung, was es damit auf sich haben könnte, betraten wir
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