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Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition)

Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition)

Titel: Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Sieben
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etwas
mehr. Ihr Temperament ließ sie sofort nach diesem Satz wieder in lautes Heulen ausbrechen.
Hinter einer Ecke wurde es spannend. Liv sah den mit einem Tablett vorbeilaufenden
Kellner Jörg Olsson die von Gästen unbeobachtete Gelegenheit nutzen. Gritta Entrup
ignorierend, sprach er Anuschka an und blieb nur kurz stehen:
    »Dich hat
er doch auch laufend fertiggemacht. Wieso trauerst du ihm nach? Ich kenne keinen,
der nicht froh ist, dass der Alte endlich abgetreten ist – egal ob freiwillig oder
nicht. Der wusste doch gar nicht mehr, was er uns allen hier antat.«
    Noch um
einiges energischer und wütender, zerrte Gritta Entrup die Weinende weiter in Richtung
Bürotür. Ihrem zornigen Blick hielt der Kellner stand.
    Hier blitzten
1.000 Volt hin und her. Das war starker Tobak. Hatte er Liv nicht bemerkt oder wollte
er sie an seiner Theorie teilhaben lassen?
    Anuschka
war jetzt kurz vor dem Zusammenbruch. Sie verlor die Beherrschung. Sie steigerte
ihr Heulen zu einem lauten Gekreische. Frau Entrup zog sie noch schneller von der
Bildfläche und schob sie ins Büro. Tür zu.
    Gekonnt
schwenkte der Kellner sein mit Sektgläsern beladenes Tablett um die Kurve, lächelte
Liv an und sagte freudig: »Guten Morgen, kann ich Ihnen helfen, suchen Sie den Wellness-Bereich?«
Und ohne die Bestätigung abzuwarten, wies er Liv an: »Vorne links zur Treppe hinauf,
den langen Gang entlang und dann links.« Dieser Jörg Olsson gefiel Liv, er war interessant.
Nicht nur, dass er ein fescher und tüchtiger Kellner zu sein schien, er war auch
augenscheinlich stets zur rechten Zeit am rechten Ort. Er war sehr aufmerksam, bekam
alles mit und hatte immer etwas Passendes zu sagen. Liv nahm sich vor, ihn etwas
genauer unter die Lupe zu nehmen – rein beruflich natürlich.

12
     
    Gerade war Liv oben an der Treppe
angekommen, als ihr suchend eine Frau in weißer, dreiviertellanger Hose mit passendem
Kittel entgegenkam. Waden, Hals und Wangen wirkten gut genährt, den Rest der rundlichen
Figur konnte Liv nur erahnen. Nach Gesundheit und Wellness sah sie in Livs Augen
nicht aus. Die fuchsrot getönten Haare hatte sie mit einer perlenbesetzten Haarspange
hochgesteckt.
    »Sind Sie
Frau Oliver? Mein Name ist Virginia Perle, ich bin Ihre Kosmetikerin, das sehen
Sie ja. Ich wollte Sie gerade suchen. Wir haben nämlich einen Termin.« Sie sang
ihre Sätze regelrecht. Für jedes ›ch‹ kam ein zischendes ›sch‹ und aus ›das‹ wurde
regelmäßig ein ›dat‹. Liv konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen und sagte:
»Sie sind aber ein echtes Düsseldorfer Kind, nicht wahr?«
    »Oh, Sie
haben es bemerkt? Ich bin hier geboren, eine Ur-Düsseldorferin sozusagen.«
    »Ich auch«,
sagte Liv in reinstem Hochdeutsch.
    Dann folgte
Liv ihr zu den Kosmetikräumen durch den langen, weiß verputzten Gang, den an den
Wänden so kleine Ölgemälde zierten, dass deren Motive ohne Brille im Vorbeigehen
nicht erkennbar waren.
    An der Bar
im Wellness-Bereich saß die Urlauberin im weißen Jogginganzug alleine und beobachtete
das Geschehen. Liv erwiderte ihr Nicken. Das hellblaue Wasser im oval geformten
Schwimmbad war plan wie ein Spiegel. Auch der angrenzende Ruheraum mit gelben Handtüchern
auf den exakt in einer Linie ausgerichteten Liegen schien noch jungfräulich diesen
Vormittag. Liv guckte sich im Vorbeigehen die einzige Liege mit einer Wassermatratze
aus und hoffte, dort später bei inspirierender Musik ihren Gedanken nachhängen zu
können.
    Der gelbe
Kosmetikliegesitz in einem kleinen abgeschlossenen Raum war in warmes Kerzenlicht
getaucht. Es roch mild nach Apfelsinen. Entspannungsmusik kam aus einem versteckten
Lautsprecher.
    ›Ach, du
je‹, dachte Liv, als sie sich den Pferdeschwanz hochzupfte, um nicht unbequem auf
ihm liegen zu müssen.
    Skepsis
und Neugier wechselten sich in ihr ab. Das war ihr erster Besuch bei einer Kosmetikerin.
Gehört und gelesen hatte sie ja schon so manches über den zur Mode gewordenen Begriff
›Wellness‹. Die Zeitschriften waren voll von bunten Bildern mit cellulite- und faltenlosen
jungen Frauen, die sich, mit einem weißen Handtuch auf dem Kopf und um den Rumpf,
den Streicheleinheiten der mit weißem, strahlendem Zahnlächeln ausgestatteten Kosmetikerin
hingaben. In Livs Kollegenkreis und unter ihren Bekannten hatte jeder in der Woche
seinen unumstößlich fest eingeplanten Wellness-Tag, nur Liv nicht – noch nicht.
Ihre Vorurteilsplätze dagegen waren belegt mit Schlagworten, die sich gerade

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