Frösche: Roman (German Edition)
Kante hat. Zuerst war er immer nach Shenzhen gefahren, hatte dort große Mengen digitaler Armbanduhren eingekauft – in den Siebzigern kam von Casio die erste digitale Armbanduhr auf den Markt – und sie an die Jugend verhökert, die verrückt danach war, mit der Mode zu gehen. Dann war er nach Jinan gefahren, wo er bei einem Bekannten, der Beziehungen zu einer Zigarettenfabrik hatte, zum Großhandelspreis Zigaretten einkaufte, die Wang Galle auf dem Markt weiterverkaufte.
Ich habe sie auf dem Markt mit ihrem Bauchladen gesehen, einem zum Zigarettenverkaufen genial hergerichteten Kasten, den sie vor der Brust trug. Er sah geschlossen wie eine Truhe, geöffnet wie eine kleine Konsole aus und hatte nach oben zu öffnende Läden, in denen die Zigarettenpäckchen lagen. Unter dem Bauchladen war Galle mit einer auf Figur geschnittenen, blauweiß gemusterten Steppjacke bekleidet. Auf dem Rücken trug sie ihren bis obenhin fest in einen Babyponcho eingepackten, wohlgenährten Säugling, von dem nur Nasenspitze und Augen hervorlugten. Ob die Leute sie kannten oder nicht, jeder warf ihr einen neugierigen Blick zu. Die Leute aus dem Ort wussten, dass sie Nases Frau war und die Mutter des wohlgenährten Säuglings auf ihrem Rücken. Fremde aber hielten sie für die große Schwester des kleinen Säuglings Ohr, die Zigaretten verkaufen musste, ein armes, aber hübsches Kind. Eigentlich kauften die Leute bei ihr nur, weil sie sie bemitleideten.
Chen Nase war in eine eng anliegende, schweinslederne Jacke gekleidet, darunter trug er einen aus dickem Garn gestrickten Rollkragenpullover. Er hatte eine rote Gesichtsfarbe und ein Kinn, das zwar rasiert war, aber vor lauter Bartstoppeln immer noch schwarz aussah; dazu eine große Nase, graue Augen in tiefen Augenhöhlen und gelocktes Haar.
Wuguan sagte: »Der Großverdiener kommt.«
»Also ehrlich, das bin ich nicht, ich bin nur ein kleiner Händler!«
Yuan Backe darauf: » това рищ! Du weißt dich auf Chinesisch auszudrücken!«
Nase wedelte mit der Papiertragetasche, die er in der Hand hielt: »Schon wenn ich dich von Weitem seh, kriege ich es mit der Angst zu tun.«
»Was ist da drin? Zigaretten?«, fragte Backe. »Die Gäste werden schon unruhig, weil sie rauchen wollen.«
Nase holte ein Päckchen aus der Tüte und warf es Backe zu. Der fing es auf, riss das Packpapier ab, und es kamen vier Stangen Zigaretten, Marke Großer Hahn, zum Vorschein.
»Na, du haust ja ordentlich auf den Putz! Bist wohl gut im Geschäft, dass du so freigebig bist. Danke!«, erwiderte Backe.
»Backe mit seiner großen Klappe ...«, sagte Galle mit gedämpfter Stimme. »Du schaffst es mit deinem Gerede, dass sogar die Toten noch beginnen, Disco zu tanzen.«
»O je, Schwägerin! Entschuldige meine Unhöflichkeit! Hast wohl den Nase heute noch nicht an dich rangelassen, damit er dich mal richtig in den Arm nehmen kann?«
»Ich stopf dir gleich dein Schandmaul!« Galle fuchtelte wutentbrannt mit ihrer kleinen Hand.
»Mama, auf den Arm ...«
Aha. Es war gar nicht Galles Hand gewesen, die da zu fuchteln begonnen hatte, sondern die ihres Kindes, der kleinen Ohr, die schon fast ihre Größe hatte und lamentierte, weil sie auf den Arm wollte.
»Chen Ohr!« Ich beugte mich zu ihr herab: »Onkel nimmt dich jetzt auf den Arm!«
Kaum hatte ich sie hochgenommen, schrie sie wie am Spieß. Chen Nase ließ sich sein Kind reichen und klopfte ihm den Po: »Ohr, weine nicht! Du warst es doch, die den Onkel Volksbefreiungsarmeesoldat sehen wollte!«
Ohr streckte ihre Hand nach Galle aus.
»Das Kind fremdelt«, sagte Nase und gab Ohr an Galle weiter, »dabei hat es gerade noch Radau gemacht, weil es den Onkel von der Volksbefreiungsarmee besuchen wollte.«
»Galle, komm mal!«, schrie Renmei und pochte gegen die geschnitzten Fensterläden. »Komm schnell!«
Galle verschwand mit Chen Ohr auf dem Arm zu Renmei. Wie ein Hund, der sich mit seinem übergroßen Spielzeug im Maul davonmacht, ein bisschen zum Lachen, ein bisschen Achtung gebietend. Sie machte so kleine, schnelle Schritte, dass sie wie ein flitzendes Tier in einem Comicstreifen aussah.
»So was Hübsches! Die Kleine sieht ja aus wie eine Babypuppe!«, sagte ich.
»Ist doch auch ein russisch-chinesischer Mischling! Keine Frage, dass sie hübsch ist!«, erklärte Backe mit vielsagendem Blick: »Nase, du bist ausdauernd! Wie ich so höre, gönnst du deiner Frau keine einzige Nacht Pause?«
Chen Nase erwiderte nur: »Halt den Rand,
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